Kolumne 19.07.03: Der Traum der Rosenbergs

21.07.03 (von maj) Die US-Friedensaktivisten vertrauten auf die Unabhängigkeit der Justiz – und wurden hingerichtet

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 166, 19./20. Juli 2003

Fünfzig Jahre, nachdem der US-amerikanische Staat Ethel und Julius Rosenberg ermordet hat, versammelten sich in den Wochen vor und nach dem 19. Juni, dem Datum ihrer Hinrichtung, überall in den USA Menschen zum Gedenken an diese beiden Opfer legaler Lynchjustiz. In diesen Veranstaltungen wurde an das Vermächtnis dieser großen Persönlichkeiten erinnert und die Arbeit des Rosenberg Fund hervorgehoben, einer Stiftung, die unter anderem die Kinder vieler politischer Gefangener in den USA unterstützt.
Der Verfasser las aus diesem Anlaß die unter dem Titel »Death House Letters« herausgegebenen erschütternden Gefängnisbriefe dieser beiden Todeskandidaten, die sich als junge Eltern plötzlich an der Schwelle zur Hölle wiederfanden, wo sie der »gütigen Gnade« ehrgeiziger Staatsbeamter ausgeliefert waren. Es sind nicht nur die schrecklichen Bedingungen, unter denen sie inhaftiert waren, die einen betroffen machen, auch nicht die offenkundig fabrizierte Anklage, die sie in den berüchtigten Knast Sing-Sing brachte, sondern vor allem ihr unerschütterliches Vertrauen in das US-amerikanische Justizsystem, seine Berufungsgerichte und das Oberste Bundesgericht in Washington DC. Es schmerzt einen, wenn man heute nachvollzieht, wie ihnen auf die ganz harte Tour beigebracht wurde, daß man dem System doch nicht trauen kann und daß das »Gesetz«, vor dem angeblich alle gleich sein sollen, für sie nicht galt.
Beim Lesen von Ethels Briefen spürt man, wie ihr das Herz vor Sehnsucht nach ihren Kindern brach, während Julius eher politische Briefe schrieb, Barometer der staatlichen Repression der 1950er Jahre, die nicht so viel anders war als die unserer Tage. Heute geht es um den »Krieg gegen den Terrorismus«, damals war es der »Krieg gegen den Kommunismus«. Julius schrieb dazu am 9. Oktober 1952: »In diesem Land herrscht ein Klima der Angst, geprägt von einer wachsenden Hysterie gegenüber allen, die sich nicht anpassen.»Mit seinen Worten schließt sich ein Kreis zu heutigen Entwicklungen. Wir werden daran erinnert, daß auch heute die Herrschenden zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen wieder skrupellos Ängste schüren, wobei die Medien in diesen Lügenkampagnen eine besondere Rolle spielen, mit denen Menschen isoliert und unter der Knute der Angst gehalten werden sollen. Erinnert sei an die Lügen, mit denen der Irak-Krieg gerechtfertigt wurde. Wieder schließ sich ein Kreis.
Vor fünfzig Jahren durften die Rosenbergs ihre Söhne weder umarmen noch küssen. Sie wurden durch eine Trennscheibe daran gehindert. Mit Ausnahme von fünfzehn Minuten pro Tag waren sie in Sing-Sing in ihre Zellen gesperrt. Das war vor fünfzig Jahren so und ist heute nicht anders. Wir leben in einem Staat, in dem zwei Millionen Männer, Frauen und Jugendliche eingesperrt sind. Immer noch sind Besuche mit Trennscheibe obligatorisch für Tausende Menschen, die in den Todestrakten darauf warten, hingerichtet zu werden. Der Verfasser durfte seinen mittlerweile erwachsenen Sohn seit dessen viertem Lebensjahr nicht mehr berühren und seit über zwanzig Jahren seine Frau nicht mehr anfassen. Kein Unterschied zwischen damals und heute.
Die Rosenbergs waren fortschrittliche Leute, die escgewagt hatten, sich eine Welt ohne Faschismus und Rassismus zu erträumen, in der der Staat sein Justizsystem nicht für eine Politik des Staatsterrorismus mißbraucht. Sie konnten ihren Traum nicht verwirklichen. Aber das heißt nicht, daß ihre Träume falsch waren. Es heißt vielmehr, daß es noch eine Menge zu tun gibt. Setzen wir durch unsere Arbeit ihre Träume in die Realität um!

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 00:56:13 Uhr