Kolumne 16.08.03: USA – über das Völkerrecht erhaben

19.08.03 (von maj) Die USA wollen sich dagegen schützen, wegen Kriegsverbrechen unter Anklage gestellt zu werden

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 190, 16./17. August 2003

Wenn es in den vergangenen Jahrtausenden eine Konstante gegeben hat, dann war es vor allem das brennende Verlangen großer Imperien, sich die Welt allein nach ihren jeweiligen Vorstellungen einzurichten. Sie alle, das Römische und das Osmanische Reich, das Britische und auch das jüngste, das US-Amerikanische Imperium, haben mit scharfen Schnitten in den Lauf der Weltgeschichte eingegriffen und allen ihren Willen aufgezwungen, die das Pech hatten, zu den unterworfenen Ländern zu gehören. Wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann vor allem, daß Imperien von ihrem Wesen her instabil sind, denn sie schaffen sich eher Feinde als Verbündete, und die Unterdrückten trachten danach, sich von ihrem Einfluß zu befreien.
Imperien haben immer versucht, die einzige Quelle von Recht und Gesetz zu sein.
Nach der furchtbaren Erfahrung des Zweiten Weltkrieges taten sich viele Nationen zusammen, um ein neues internationales Rechtssystem zu errichten und Institutionen zu schaffen, die einen weiteren Weltkrieg verhindern sollten. Die letzten beiden großen Kriege hatten die Welt in ein Blutbad getaucht und Abermillionen Tote gefordert. Deshalb sollte ein internationaler Strafgerichtshof geschaffen werden, der die Menschenrechte schützen würde und der befugt wäre, militärische Organisationen und ihre Führungen anzuklagen, denen ein gewaltsamer Verstoß gegen das »Recht der Nationen« (Völkerrecht) nachzuweisen ist. Wenn es einen unversöhnlichen Gegner dieser Idee gab, dann waren es die Vereinigten Staaten von Amerika. Mehr als ein halbes Jahrhundert haben sie das Vorhaben europäischer Staaten und vieler sogenannter »Entwicklungsländer«, eine solche internationale Rechtsinstitution zu schaffen, ignoriert.
Warum, so fragt man sich, wagen es gerade die USA, das »Land der Freien und der Hort der Tapferen«, sich der Etablierung internationalen Rechts zu widersetzen? Ganz einfach: die USA fürchten, ein nicht von ihnen kontrolliertes Tribunal könnte Angehörige des US-Militärs wegen Kriegsverbrechen unter Anklage stellen. Deshalb versuchten sie, ein solches internationales Strafgericht über Jahrzehnte mit allen Mittel zu verhindern. Als Präsident Bill Clinton dann endlich bereit war, ein Abkommen zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court/ICC) zu unterzeichnen, versuchte seine Regierung, sich für alle potentiellen Anklagen ein Vetorecht zu sichern. Der UN-Sicherheitsrat wies dieses Ansinnen jedoch zurück. Obwohl Clinton das Abkommen am 31. Dezember 2000 unterzeichnet hatte, kündigte die Bush-Administration zwei Jahre später an, sie werde »die Unterschrift unter das internationale Abkommen zurückziehen«. Mit den Worten von Verteidigungsminster Rumsfeld: »Es besteht die Gefahr, daß der ICC versuchen könnte, sowohl Angehörige der US-Militärdienste als auch Zivilisten, die mit Anti-Terror- oder anderen militärischen Operationen befaßt waren, mit Gerichtsverfahren zu überziehen. Das können wir nicht zulassen.«
Als Menschenrechtler und Anwälte in Belgien Klage gegen US-General Tommy Franks und andere Mitglieder der US-Führung einreichten, reagierte Rumsfeld sofort äußerst scharf und drohte damit, US-Gelder für einen geplanten Neubau des NATO-Hauptquartiers in Brüssel zurückzuziehen. Es ging bei dieser Drohung um eine Summe von 115 Millionen US-Dollar.
Zu Beginn des Jahres 2003 hatten über achtzig Nationen das ICC-Abkommen ratifiziert. Wer erwies sich weiterhin als der weltweit größte Gegner des Internationalen Strafgerichtshofs und des Vertrages von Rom, der ein Vorläufer des ICC-Abkommens war? Die Vereinigten Staaten.
Nationalstaaten mögen sich internationalen Abkommen unterwerfen, für Imperien ist so etwas völlig undenkbar. Rom akzeptierte nur die eine Macht über sich, nämlich sich selbst. Das Byzantinische Reich beugte sich nur den eigenen Imperatoren. Die Osmanen unterwarfen sich nur den osmanischen Kalifen. Imperien finden es unerträglich, ja unmöglich, Macht und Gewalten anzuerkennen, die außerhalb der eigenen liegen.
Wir erleben die Pax Americana, das Zeitalter des US-Imperiums. Als die Regierung unter George W. Bush die Macht übernahm, begann sie unverzüglich, jedes internationale Abkommen aufzuheben, das von den USA unterzeichnet worden war.
Das Verhalten der US-Regierung legt den Verdacht nahe, daß gerade diejenigen Immunität gegenüber einer Verfolgung von Kriegsverbrechen genießen möchten, die auch die Absicht haben sie zu begehen. Wollen sich die USA noch rechtzeitig vor ihrem nächsten My-Lai-Massaker vor Strafverfolgung schützen? Oder weil das nächste Wounded Knee im Ausland stattfindet? Wir brauchen aber gar nicht in die Zukunft zu schauen, weil wir schon jetzt permanent miterleben müssen, wie im Namen von »Demokratie«, »Freiheit« und »Menschenrechten« täglich Greueltaten begangen werden. Wenn wir uns dieser wachsenden Obszönität, diesem beginnenden imperialen Fieber jetzt nicht entgegenstellen, wird die gesamte Bevölkerung der USA noch den Tag bereuen, an dem es vollends zum Durchbruch kommt.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 02:03:19 Uhr