Kolumne 12.06.04: Krieg gegen die Demokratie

14.06.04 (von maj) Nach dem Tod eines der größten Terroristen der jüngeren Vergangenheit: Ronald Reagan

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr.132, 12./13. Juni 2004

Es ist mittlerweile ganz normal geworden, über den »Krieg gegen den Terrorismus« zu reden und ihn als etwas Gegebenes zu betrachten, als den Tatsachen entsprechend. Und dennoch kann man nicht wirklich über ihn sprechen, wenn man nur eine vage Vorstellung von der Geschichte der USA des letzten Jahrhunderts oder auch nur der letzten fünfzig Jahre hat, soweit es die hiesige Region und die Nachbarterritorien betrifft. Denn allein in diesem letztgenannten Zeitraum finden wir schon eine Geschichte der von den USA sanktionierten und unterstützten Barbarei gegen die Völker Mittel- und Südamerikas, die ein jahrzehntelanges Martyrium unter ruchlosen Gererälen durchleben und um ihr Überleben kämpfen mußten. Generäle, die wie Monster Unheil und Verwüstung über ihre Länder brachten: Vergewaltigungen, Folter, Mord und andere Schrecklichkeiten im Namen ihrer Herren, der Norteamericanos.
Millionen von Menschen in den Ländern südlich des Rio Grande beobachten es mit tiefstem Argwohn oder Galgenhumor, daß die US-Regierung vorgibt, einen »Krieg gegen den Terrorismus« zu führen. Denn sie wissen nur zu gut, daß die USA immer schon für den nackten Terror verantwortlich waren, der ihre Gesellschaften seit dem 19. Jahrhundert heimsuchte. Sie wissen, daß die USA die Soldateska ihrer Ländern nicht nur im Gebrauch von Waffen trainierte, sondern auch in Foltertechniken. Was die Soldaten da lernten, wurde nicht etwa gegen feindliche Armeen eingesetzt, sondern gegen die eigene Bevölkerung, um die Interessen der Oligarchie der Landbesitzer zu schützen, die in der Regel ihre Seelen an die USA verkauft hatten. Die Opfer dieser innerstaatlichen Kriege würden es begrüßen, wenn tatsächlich ein »Krieg gegen den Terror« geführt würde, wenn das bedeutete, daß die USA endlich aufhörten, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen, Putsche zu unterstützen oder Sektoren ihres Mittelstandes zu korrumpieren.
Vor Jahren erschien im New Yorker Seven Stories Verlag ein bemerkenswertes Buch, Clara Nietos »Masters of War: Latin America and U.S. Aggression«. Die frühere Diplomatin und Journalistin analysiert darin detailliert die US-Interventionen oder Einmischungen in die inneren Angelegenheiten in Mexiko, Kuba, Guatemala, Argentinien, Nikaragua, Panama, Uruguay, Brasilien und praktisch allen anderen Ländern Mittel- und Südamerikas. Seit der mit 1823 beginnenden Ära der Monroe-Doktrin bis hin zu den furchtbaren Jahren der Reagan-Administration und der Amtszeit Clintons führten die USA Kriege gegen die demokratischen Kräfte der Region und forcierten damit eine Entwicklung, die Millionen von Menschen in die USA immigrieren ließ. Diese Flüchtlinge verließen und verlassen ihre Heimat nicht, weil sie in den USA Demokratie oder Freiheit suchen, sondern weil sie annehmen, daß die US-Regierung im eigenen Land nicht so vorgeht wie in ihren Ländern. In den USA, so hoffen sie, werden sie endlich Frieden finden, weil sie begriffen haben, daß es außerhalb des US-Territoriums keinen Flecken Erde gibt, der sicher wäre vor dem Wüten der nordamerikanischen Herren.
In Kuba zum Beispiel war die Staatsführung Ziel von wenigstens einem Dutzend Mordanschlägen. Verschiedene US-Regierungen versicherten sich bei diesen Anschlägen gegen Fidel Castro der Unterstützung von Mafiosi wie Meyer Lansky, John Roselli und Santo Trafficante. Allein in einem Jahr, genauer gesagt innerhalb von acht Monaten, führte die CIA mit Hilfe der Mafia 5.780 Akte von »Sabotage und Terrorismus« gegen Kuba und seine politische Führung durch, so Nieto auf Seite 78-79 ihres Buches.
In den 1980er Jahren ließ Ronald Reagan eine Welle rechter Gewalt gegen die sandinistische Regierung Nikaraguas entfesseln. Nieto erklärt:
»Reagans ›Geheimkrieg‹ gegen Nikaragua wurde ein Tummelplatz für Kriminelle, Terroristen, Paramilitärs und Söldner aus aller Welt. Arbeitslose verschiedener Nationalitäten wurden für diesen Krieg angeworben und frühere Green Berets, kubanische Veteranen der Invasion in der Schweinebucht, im Ruhestand befindliche Offiziere, ehemalige CIA-Agenten, argentinische Mordbanden und israelische Berater (allein 1983 waren das 30 bekannte Fälle) waren an diesem Krieg in der einen oder anderen Form beteiligt.«
Diese Söldnerarmee bereitete Nikaragua die Hölle auf Erden. Bombenanschläge mit vielen Opfern, Vergewaltigungen, Folter und Mord waren an der Tagesordnung. Die Ausführenden konnten alle von sich behaupten, »nur Befehle zu befolgen«, Befehle des imperialen US-Präsidenten Ronald Reagan. Reagan verglich diese Contras gern mit »unseren Gründungsvätern«. Wahrscheinlich lag er damit gar nicht so falsch.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:27:31 Uhr