Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 63 - 15./16. März 2008
Das »Pew Center on the States« mit Instituten in Washington D.C. und Philadelphia hat es sich zur Aufgabe gemacht, Statistiken, Meinungen und Trends in den USA zu erforschen und den politischen Entscheidungsträgern zugänglich zu machen. Eines der vom Pew Center ins Leben gerufenen Forschungsprojekte ist das über öffentliche Sicherheit, das nach eigenem Bekunden »den US-Bundesstaaten hilft, eine finanzpolitisch solide und datengestützte Verurteilungs- und Strafvollzugspraxis zu fördern, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit zu entwickeln, Straftäter zur Verantwortung zu ziehen und Kosten unter Kontrolle zu halten«.
Ende Februar 2008 hat eine Veröffentlichung des 2006 gegründeten Projekts weltweit Aufsehen erregt: nach diesem Report sind die USA bezüglich der Inhaftiertenrate im US-Gefängnissystem ungeschlagener Weltmeister. Einer von hundert US-Bürgern sitzt in der Zelle eines Untersuchungs- oder Strafgefängnisses oder im Todestrakt. Konkret bedeutet das, daß zu Beginn des Jahres 2008 exakt 2319258 Männer und Frauen eingesperrt waren. Kein anderes Land kann mit einer solch hohen Zahl aufwarten. Nicht einmal Indien, dessen Bevölkerung dreimal so hoch ist wie die in den USA, und auch China mit mehr als viermal so vielen Einwohnern reicht an die US-Statistik bei weitem nicht heran.
Einer der Gründe, warum die USA auf diesem Gebiet weltweit absolut führend sind, ist die Tatsache, daß das Gefängnissystem in den vergangenen Jahrzehnten in einen bedeutenden Wirtschaftszweig umgewandelt wurde. Als Begleiterscheinung wurden gerade in ökonomisch schwachen Gegenden, in denen beispielsweise Bergbau und Schwerindustrie zusammengebrochen sind und in der Folge ein Arbeitslosenheer entstand, viele neue Arbeitsplätze in neugebauten Gefängniseinrichtungen geschaffen. Alle US-Bundesstaaten zusammen haben im Jahr 2007 über 49 Milliarden US-Dollar in ihre Gefängnishaushalte gesteckt. Zwanzig Jahre zuvor war es noch ein knappes Fünftel, nämlich elf Milliarden US-Dollar. 1995 habe ich in meinem Buch »…aus der Todeszelle – Live From Death Row« genau vor dieser Entwicklung gewarnt, weil wir uns damals bereits inmitten einer Entwicklung befanden, in der gegen immer mehr Angeklagte immer höhere Strafen verhängt wurden.
Die meisten Argumente für diese Verschärfung hat der von Regierung und Justiz ausgerufene »Krieg gegen die Drogen« geliefert. Aber erst jetzt, ein gutes Jahrzehnt nachdem so unglaublich viele Menschen wegen relativ geringer Delikte für lange Zeit aus dem Verkehr gezogen wurden und in den Gefängnissen Zwangsarbeit verrichten mußten, denkt die zuständige Strafkommission darüber nach, die strengen Bestimmungen etwas zu lockern. Der Besitz von Crack, einer rauchbaren Droge aus Kokainsalz, das mit Natriumhydrogencarbonat (Natron) versetzt wird, soll künftig weniger hart bestraft werden, obwohl es zu einer stärkeren Abhängigkeit führt. Delikte wie Verkauf und Besitz des reinen Kokainpulvers sollen dagegen weiterhin mit hohen Strafen geahndet werden.
Warum lockert der Staat gerade jetzt die Strafbestimmungen? Ein wesentlicher Grund dafür mag sein, daß die zuständigen Behörden in der roten Tinte ertrinken, die ihnen die in die Höhe schießenden Gefängniskosten in ihren Statistiken bescheren. Ein weiterer Grund könnte der sein, daß 2005, also Jahrzehnte nach dem Beginn des »Krieges gegen die Drogen«, festgestellt wurde, daß von den über zwölf Jahre alten US-Bürgern 33,6 Millionen Kokain konsumieren. Weitaus weniger, nämlich etwa acht Millionen Menschen, haben bei derselben Untersuchung angegeben, irgendwann in ihrem Leben Crack geraucht zu haben.
Wenn wir uns die älteren Jahrgänge der High Schools ansehen, stoßen wir auf erstaunliche Entwicklungen: 1975 gaben 1,9 Prozent dieser Schüler an, regelmäßig Kokain zu konsumieren. 2005 war diese Zahl auf 2,5 Prozent gestiegen. Das sagt alles über die Wirkung des angeblichen »Krieges gegen die Drogen«. Diese Zahlen zeigen, daß nach dem Investieren von Milliarden von US-Dollars in neue Gefängnisse und nachdem eine unglaublich hohe Zahl von vornehmlich jungen Menschen wegen Drogenbesitzes hinter Gittern verschwanden, der Gebrauch von Drogen nicht gesunken, sondern kontinuierlich angestiegen ist. Keine Frage, wer Sieger in diesem Krieg sein wird.
Übersetzung: Jürgen Heiser