Kolumne 17.05.08: Verflucht statt gesegnet

17.05.08 (von maj) Um aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat zu bleiben, mußte sich Barack Obama zunächst von seinem Seelsorger distanzieren, weil der ein Verfechter der schwarzen Befreiungstheologie ist

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 114 - 17./18. Mai 2008

Generationen von US-Präsidenten sowohl der Republikanischen als auch der Demokratischen Partei haben sich mit religiösen Beratern umgeben, von denen Reverend Billy Graham sicher der bekannteste ist. Historiker haben es an die Öffentlichkeit gebracht, daß Graham und seine Glaubensbrüder aus dem Weißen Haus bei ihren Sitzungen im Oval Office Schwarze und Juden mit rassistischen und fremdenfeindlichen Begriffen bedachten. Trotzdem wurde Rev. Graham erst neulich wegen seines seelsorgerischen Beistandes für die Präsidenten ausdrücklich gelobt, weil er ihnen in Zeiten von Streß, Druck, Krieg und Frieden immer zur Seite gestanden habe. Reverend Pat Robertson, 1988 selbst republikanischer Präsidentschaftskandidat und bis heute aktiver Fernseh-Evangelistenprediger, konnte es sich leisten, in einer seiner TV-Predigten unwidersprochen zum Mord an Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez aufzurufen.
Völlig anders liegen die Dinge bei Reverend Dr. Jeremiah Wright, dem langjährigen Seelsorger und Vorbild des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Senator Barack Obama. Wright ist ein Verfechter der schwarzen Befreiungstheologie, die davon ausgeht, daß Gott den Weg aus Sklaverei und Unterdrückung weist. Die Weißen in den USA haben sich so sehr daran gewöhnt, daß Schwarze in leisen und moderaten Tönen zu ihnen sprechen, daß sie geradezu schockiert sind, wenn jemand wie Rev. Wright frei und offen redet. Für Wrights Predigten wie die folgende wurde Obama angegriffen:
»Die Regierung der Vereinigten Staaten hat versagt, als es um die faire Behandlung der indianischen Ureinwohner ging; sie pferchte sie in Reservaten zusammen. Als es während des Zweiten Weltkriegs um eine faire Behandlung der Mitbürger japanischer Herkunft ging, hat sie versagt. Sie sperrte sie in Internierungslager ein. Und als es um eine faire Behandlung der Mitbürger afrikanischer Herkunft ging, hat sie ebenfalls versagt: sie ließ sie in Ketten aus ihrer Heimat verschleppen, verkaufte sie in Sklavenauktionen, ließ sie auf Baumwollfeldern schuften und ihnen später nur geringe Schulbildung zukommen, mutete ihnen unwürdige Wohnverhältnisse zu, nahm ›wissenschaftliche‹ Experimente an ihnen vor, gab ihnen nur schlecht bezahlte Jobs, entzog ihnen den Schutz des Gesetzes, schloß sie mit rassistischen Motiven aus den Einrichtungen höherer Bildung aus und nagelte sie auf eine gewollte Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit fest. Die Regierung gab ihnen Drogen, baute mehr und größere Gefängnisse, verabschiedete Gesetze wie das ›Three Strike Law‹, mit dem es möglich wurde, gegen Angeklagte, die bereits zweimal wegen geringfügiger Delikte verurteilt wurden, beim dritten Mal lebenslange Haft zu verhängen. Trotz alledem erwartet man von uns, daß wir ›God Bless America‹ singen. Aber nein, nein, nein – kein ›Gott segne Amerika‹! Gott verfluche Amerika – so steht es auch in der Bibel – für das Töten so vieler unschuldiger Menschen!«
Obama sollte sich dafür von Wright »persönlich distanzieren« – und zwar sofort. Man wollte von ihm nur noch ein »Jawoll, Massa!« hören, und leider entsprach Barack Obama dieser Forderung und stellte Rev. Wright öffentlich als den »verrückten Onkel« dar, den es in jeder Familie gibt. Diese Politik der Denunziation ist letztlich nichts anderes als eine Politik des Verrats. Sie verlangt vom Kandidaten für das Präsidentenamt, daß er alle denunziert, die der weißen Nation ein Dorn im Auge sind. Sonst läuft er Gefahr, mit ihnen und ihrer Gesinnung identifiziert zu werden. Obama, Sohn eines Vaters vom kontinentalen Afrika, darf nichts über den afroamerikanischen Freiheitskampf sagen oder sich gar als Führungsperson mit afrikanischen Wurzeln zeigen, wenn er denn nach der Wahl im November die Geschicke der weltweit führenden weißen Nation lenken will. Vielleicht wäre Oba­ma bei der Frage, wie weit er beim Kampf um seinen neuen Job gehen will, ein Blick in seine Bibel zu empfehlen, denn im Matthäus-Evangelium, Kapitel 16, Vers 26, steht zu lesen: »Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?«

Übersetzung: Jürgen Heiser


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