Kolumne 5.07.08: Höheren Mächten verpflichtet

05.07.08 (von maj) Warum Wahlversprechen und Realpolitik in den USA nichts miteinander zu tun haben

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 155 - 5./6. Juli 2008

Während Millionen US-Bürger die kommenden Präsidentschaftswahlen im November erwarten und nicht wenige dabei von einem Willen zur Veränderung getragen werden, kann es hilfreich sein, sich die Zwischenwahlen von 2006 noch einmal genauer anzuschauen. Durch diesen Wahlgang veränderte sich das Sitzverhältnis der Demokratischen gegenüber der Republikanischen Partei im US-Kongreß auf dramatische Weise, und es schien sich dadurch auch eine bedeutende Veränderung der gesamten Politik der USA anzukündigen.
Bei den Zwischenwahlen stand die stärker ins öffentliche Bewußtsein gerückte Forderung nach einem Ende des Irak-Krieges im Mittelpunkt. Weite Kreise der US-Bevölkerung waren angesichts des Kriegsdesasters regelrecht von einem Hunger nach Frieden getrieben, und hinter der ungerechten Besetzung des Zweistromlandes stand keine Mehrheit mehr. Die Wahl drückte das gewachsene Mißfallen gegenüber der Kriegspolitik der Bush-Regierung aus.
Das ist nun zwei Jahre her, und gerade erst hat der US-Kongreß erneut weitere 165 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung des Krieges bewilligt. Aber anders, als es der große Stimmenzuwachs für die Demokraten mit ihrer vorgeblichen Antikriegshaltung vor zwei Jahren ausdrückte, haben beide Parteien den Krieg zu ihrer gemeinsamen Sache gemacht.
Es liegt in der Natur des herrschenden politischen Systems, daß Politiker gewohnheitsmäßig die Interessen derjenigen verraten, die ihnen ihre Stimme gegeben haben. Sie lassen sich gern von den Leuten wählen, aber nach dem Wahlsieg fühlen sie sich zu nichts mehr verpflichtet. Es gibt dazu den passenden Spruch: »Sie fühlen sich einer höheren Macht verpflichtet« – und das ist der militärisch-industrielle Komplex.
Wenn wir uns die Medienpolitik zu den Vorwahlen 2008 ansehen, dann stellen wir fest, daß Kandidaten beider Parteien, die auf Antikriegswahlplattformen in den Wahlkampf zogen, mit Kampagnen der Medienkonzerne konfrontiert waren, in denen sie wegen ihrer Kriegsgegnerschaft auf allen Kanälen verhöhnt wurden. Dennis Kucinich (Demokraten, Ohio), Ron Paul (Republikaner, Texas) und der frühere Kongreßabgeordnete Mike Gravel blieben erfolglos bei ihrem Versuch, für ihre Parteien als Präsidentschaftsanwärter ins Rennen zu ziehen. Sie wurden durchweg als Außenseiter dargestellt, man schimpfte sie nicht offen Dummköpfe, aber sie wurden so präsentiert, als seien sie eben nicht von jenem Holz, aus dem Präsidenten geschnitzt werden.
Es bestätigte sich wieder, was Marshall McLuhan in den 1970er Jahren sagte: »Das Medium ist die Botschaft.« Die Medien versahen ihren Job wie gekaufte Totschläger, die für ihre Bosse in den Konzernführungsetagen die Drecksarbeit machen. Sie manipulierten die öffentliche Meinung, daß nur jene Kandidaten, die von den Medien als »wählbar« angesehen und propagiert werden, auch wirklich »ernsthafte« Aspiranten für den Job des Präsidenten sind. »Nur Mr. Soundso wird genug Spenden zusammenbringen«, meinten die Reporter und verkauften dem Publikum Kandidaten für das höchste politische Amt wie Seifenstücke.
Diese Meinungsbildungsprozesse haben die Zeiten geprägt, in denen wir leben; Zeiten voller Unheil und Gefahren. Was für eine Art von Demokratie wird dadurch erzeugt? Und nun, knapp vier Monate vor der nächsten »Schicksalswahl«, werden wir tagtäglich wieder im Überfluß Versprechungen gemacht bekommen, präsentiert in den besten Werbefilmen, die man für Geld kaufen kann. Mit leuchtenden Augen sollen wir für vermeintlich große Veränderungen an den Wahlurnen unsere Stimme abgeben. Monate oder Jahre später werden wir wieder zurückschauen auf die gebrochenen Versprechen und uns verwundert fragen, warum uns das wieder und wieder passieren muß.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:52:28 Uhr