Kolumne 20.09.08: Ökonomien vernichten

20.09.08 (von maj) Kapitalistische Globalisierung ist nicht die Lösung wirtschaftlicher Aufgaben, sondern das Problem

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 221 - 20./21. Sept. 2008

Nachdem in den USA die Wahlparteitage der Demokratischen und der Republikanischen Partei abgeschlossen sind und die Erinnerung daran schon im Dunstschleier unseres Kurzzeitgedächtnisses verschwindet, müssen wir feststellen, daß nur wenige politische Inhalte zu uns durchgedrungen sind. Die Auftritte der Präsidentschaftskandidaten waren eher reine Inszenierungen für die Medien als Momente wirklich politischer Diskussion. Keiner der beiden Präsidentschaftskandidaten hat auch nur die leiseste Vorstellung davon, wie die ökonomische Krise zu lösen wäre, von der das Land geplagt wird. Im Gegenteil sind beide sogar leidenschaftliche Verfechter der »Globalisierung«. Aber die kapitalistische Globalisierung ist nicht die Lösung – sie ist das Problem.
Was heute als Globalisierung bezeichnet wird, ist das Instrumentarium, mit dem die Wirtschaftsmacht USA die Weltwirtschaft in der Ära nach dem Ende des Kalten Krieges auf ihre Interessen zurichten will. Sie zielt darauf, im Ausland Märkte für die US- sowie die gesamte westliche Wirtschaft zu öffnen. Verbreitet wird dabei die Illusion eines »freien Handels«, während tatsächlich lokale und nationale Ökonomien mit der Brechstange geknackt und ausgeplündert werden.
Chalmers Johnson hat in seinem Buch »Blowback: The Costs and Consequences of American Empire« diese Entwicklung sehr präzise und überzeugend analysiert. Er schildert darin anschaulich, daß die Ursprünge dieser weltweiten Strategie auf die Regierungszeit unter US-Präsident Richard M. Nixon Anfang der 1970er Jahre zurückzuführen ist. Damals wurden die nach dem Zweiten Weltkrieg getroffenen Bretton-Woods-Übereinkünfte faktisch aufgekündigt, weil der Milliarden verschlingende Vietnamkrieg nur durch eine galoppierende Dollarinflation finanziert werden konnte. Das Bretton-Woods-System, benannt nach der 1944 in Bretton Woods, New Hampshire, abgehaltenen Konferenz, war ein Währungssystem, das vom goldhinterlegten US-Dollar als Leitwährung getragen war. Es sollte die Weltwirtschaft völlig neu strukturieren und eine reibungslose und von Handelsbarrieren befreite Abwicklung des Welthandels bei festen Wechselkursen garantieren. Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) wurden dazu errichtet.
Wie sich jetzt zeigt, hat das wild expandierende Finanzkapital, das ständig mit Fremdkapital spekuliert und daraus seine Profite schlägt, nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems rund um den Erdball Verwüstung und Chaos angerichtet. Es wurde zum obersten Gebot, möglichst schnell das große Geld zu machen, auch wenn das nur um den Preis der Destabilisierung und Vernichtung lokaler und regionaler Märkte möglich war und ist.
Diese neue globalisierte Ökonomie höhlte in den USA ganze Industriezweige aus. Die Verlagerung der Produktion ins Niedriglohn-Ausland führte zum Verlust vieler Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie und förderte den schrittweisen Zusammenbruch der inländischen Wirtschaft. Johnson zitiert Judith Stein, einie Historikerin vom New Yorker City College, die herausgearbeitet hat, wie diese US-Wirtschaftspolitik sich in eine Abrißbirne für die schwarzen Gemeinden verwandelte.
Während sich die Präsidentschaftskandidaten nun medienwirksam über Steuersätze und Kapitalerträge streiten, wissen Millionen von US-Bürgern nicht mehr, wovon sie ihre Rechnungen und Kredite noch bezahlen sollen. Abertausende haben bereits ihr Dach über dem Kopf verloren, weil sie arbeitslos wurden oder ihnen einfach die Schulden über den Kopf wuchsen und in der Folge ihre vom Mund abgesparten Einfamilienhäuser unter die Zwangsvollstreckung fielen.
Diese globalisierte Wirtschaft dient nur dem Kapital, der Hochfinanz und den Spekulanten. Der arbeitende Mensch hat in ihr das Nachsehen, vor ihm türmen sich die Hindernisse, egal ob er noch Arbeit hat oder verzweifelt nach einer Möglichkeit sucht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Beide Kandidaten und ihre Parteien sind blind und taub gegenüber der Not ihrer Wähler und von daher nicht willens, nach wirklichen Lösungen zu suchen – geschweige denn, für sie einzutreten.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel443.html
Stand: 24.11.2024 um 01:38:17 Uhr