Kolumne: 1.11.08: Sozialismus für Milliardäre

01.11.08 (von maj) Füllhorn des Staates ergießt sich über die Reichen. Die Armen ahnen: Es kommt noch schlimmer

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 255 - 1./2. Nov. 2008

Finanzspritzen zur Ankurbelung der Konjunktur, Sanierungspläne und Rettungsaktionen für die Banken – seit Generationen haben wir nichts Vergleichbares erlebt wie in den letzten Wochen. Regierungsmitglieder lassen hastig ersonnene politische Maßnahmen verlautbaren, die sie am nächsten Tag schon wieder zurücknehmen. Eben noch steigt der Dow Jones Index an, und nur Minuten später stürzt er schon wieder in ungeahnte Tiefen. Ein sichtbares und meßbares Zeichen der Unbeständigkeit der Märkte.
Große Geldsummen werden in insolvenzgefährdete Häuser des Kreditgewerbes, in Banken und Privatfirmen gepumpt. Das alles sei ein Versuch, »die Maschine wieder in Gang zu bringen«, wie uns von offizieller Seite erzählt wird. Firmen, die hundert Jahre lang Ikonen der Wirtschaft waren, verdampfen in der Hitze der Finanzkrise wie Tau in der Morgensonne. Und das geschieht nicht nur in den USA, sondern weltweit.
Vor etwa einem Jahr geriet der britische Bankenriese Northern Rock in die Krise. Monatelang versuchte die Londoner Regierung, private Investoren dazu zu bringen, zu einer Problemlösung beizutragen, aber sie stieß auf wenig Interesse. Im Februar 2008 wurde das Unternehmen schließlich verstaatlicht, und die Regierung pumpte 87 Milliarden britische Pfund hinein, um es liquide zu halten. Die Bank wurde gerettet, aber Tausende Angestellte wurden auf die Straße gesetzt.
Das Debakel der Northern Rock Bank hat in Verbindung mit dem 700 Milliarden US-Dollar umfassenden Sanierungspaket der US-Regierung im Kreise der Investoren die Alarmglocken schrillen lassen. Einer dieser Investoren, der Milliardär Jim Rogers, wurde in Steve Palmers Artikel »Capitalist Crisis – USA: Goodbye Wall Street« (Okt.-Nov.-Ausgabe von Fight Racism! Fight Imperialism! der London School of Economics) folgendermaßen zitiert: »Amerika ist heute weitaus kommunistischer als China. Was wir jetzt sehen, ist ein Sozialhilfeprogramm für die Reichen. Es wird nur Finanzinstitutionen aus der Klemme geholfen. Das ist verückt, das ist Wahnsinn. Zum Wohle von ein paar Gaunern und unfähigen Finanzjongleuren wurde die Staatsverschuldung der USA innerhalb nur eines Wochenendes mehr als verdoppelt. Mir ist nicht klar, wieso ich oder sonst jemand für die Schulden dieser Leute aufkommen sollte.«
Noch surrealer wirkt es, wenn Politiker jetzt andere Politiker beschimpfen, »Sozialisten« zu sein. Ignoriert wird dabei, daß dieser »Sozialismus« nur auf wohlhabende Bankiers und Häuser der Hochfinanz Anwendung findet. Natürlich hat das alles nichts, aber auch gar nichts mit dem Sozialismus zu tun, wie ihn die Tradition der Arbeiterbewegung als wissenschaftliches Konzept der Veränderung des Kapitalismus hervorgebracht hat. Für die Arbeiterklasse und die Menschen, die trotz Arbeit in Armut leben, sowie Millionen Menschen der Mittelschicht ist diese ökonomische Krise nur ein böses Omen für das, was sie noch erwartet. Sie alle ahnen, daß es für sie noch schlimmer kommen wird. Und sie wünschten, daß ihnen nur ein Bruchteil dieses »Sozialismus« zugute käme, der sich jetzt so großzügig aus dem Füllhorn des Staates über die Reichen ergießt.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:33:01 Uhr