Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 44 - 21./22. Febr. 2009
Im Rechtssystem der USA gibt es die »Courts of Common Pleas«, die wie die gesamte Rechtslehre dem englischen Justizsystem entstammen und zur Zeit der Eroberung Nordamerikas von den englischen Kolonisten eingeführt wurden. Die dem »Common Law« verpflichteten Gerichtshöfe stützen sich nicht auf einen festgelegten Gesetzeskodex, sondern auf Präzedenzfälle, also richterliche Grundsatzurteile, durch die Recht und Gesetz auf der Grundlage der US-Verfassung fortentwickelt werden.
Diese Gerichte verfügen über bestimmte Zuständigkeiten, die von Bundesstaat zu Bundesstaat variieren können. In Pennsylvania bezeichnet der »Court of Common Pleas« Gerichtshöfe für Straf- und Zivilrecht, die nach Gerichtsbezirken organisiert und in der Regel mit den Kommunalbezirken (Countys) identisch sind. Ausnahmen bilden einige Countys mit geringerer Einwohnerzahl, die sich einen Gerichtsbezirk mit einem oder mehreren anderen angrenzenden Countys teilen. Die Richter werden nicht ernannt, sondern gewählt.
Dem Gerichtshof von Luzerne County, Pennsylvania, zuständig für über 300000 Einwohner, gehören neun Richter an. Zwei dieser Richter standen jüngst selbst vor Gericht und bekannten sich der Verschwörung zum Begehen von Straftaten schuldig. Gemeinschaftlich hatten sie jugendliche Angeklagte ohne wirkliche Prüfung der Vorwürfe zu Haftstrafen in einem Privatgefängnis verurteilt und dafür von den Bauherrn und der Inhaberfirma des Gefängnisses Schmiergelder erhalten. Nach den vorliegenden Presseberichten haben Richter Mark A. Ciavarella und der Vorsitzende Richter Michael T. Conahan Hunderte Jungen und Mädchen zum Absitzen von Haftstrafen in diesem Privatgefängnis verurteilt und dafür als Gegenleistung rund 2,5 Millionen US-Dollar erhalten. Möglich wurde dieser Skandal nicht nur durch die Habgier der Richter, sondern vor allem auch deshalb, weil das Gericht nicht seiner Pflicht nachgekommen war, den Jugendlichen eine angemessene Verteidigung zur Seite zu stellen.
Als an ein Schuldbekenntnis der beiden Richter noch nicht zu denken war, hatte das in Philadelphia ansässige Juvenile Law Center (Zentrum für Jugendstrafrecht) eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof Pennsylvanias eingereicht, mit dem es die Aufhebung der Urteile gegen etwa 250 Jugendliche erreichen wollte. Begründung der Pauschalklage: die unzureichende Verteidigung in all diesen Fällen stelle einen Verstoß gegen die Verfassung dar.
Das höchste Gericht des Bundesstaates lehnte die Klage jedoch am 8. Januar 2009 ab. Als wäre das nicht schon schlimm genug, verlautete gleichzeitig aus Kreisen der Justiz, den beiden Richtern, die unter Anfangsverdacht standen, sei nichts vorzuwerfen, schließlich hätten sie das staatseigene Jugendgefängnis entlastet, indem sie die minderjährigen Verurteilten zur Verbüßung ihrer Haftstrafen in das Privatgefängnis schickten.
Etwa einen Monat nach seiner ursprünglichen Entscheidung hob der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates seine Ablehnung der Klage wieder auf. Zu diesem Meinungsumschwung sahen sich die höchsten Richter gezwungen, weil die beiden unter Verdacht stehenden Bezirksrichter zwischenzeitlich die Notbremse gezogen und sich vorsorglich schuldig bekannt hatten, um einer schärferen Anklage nach Bundesgesetz wegen Vorteilsnahme in Verbindung mit betrügerischem Einsatz von Mitteln der Telekommunikation abzuwenden.
Zur Besinnung kamen die höchsten Richter Pennsylvanias also durch den juristischen Schachzug krimineller Richter, nicht aber durch die Tatsache, daß Hunderte Jugendliche zu Opfern schmutziger Geschäfte wurden. Hier zeigt sich der wahre Charakter einer »Rechtsprechung«, in der sogar die Jüngsten skrupellos zu Nachschubmaterial für ein Gefängnissystem gemacht werden, dessen Zweck zunehmend auf Profitmaximierung ausgerichtet ist. Das wirft einerseits ein grelles Licht auf die dramatischen Folgen der Privatisierung staatlicher Institutionen und der Ausweitung des Privatgefängnissystems. Und es macht andererseits deutlich: Wer solche Richter hat, braucht sich um die neuen Statistiken einer angeblich wachsenden Jugendkriminalität keine Sorgen mehr zu machen.
(Übersetzung: Jürgen Heiser)