Kolumne 14.03.09: Der Sturz der Giganten

14.03.09 (von maj) Krise des Mediums Tageszeitung hängt eng mit seinem Abstieg zum bloßen Verlautbarungsorgan der herrschenden Meinung und der verzerrten Darstellung der Wirklichkeit zusammen

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 62 - 14./15. März 2009

Für die Tageszeitungen in den USA, von denen einige über Generationen wie Giganten in der Medienlandschaft standen, ist jetzt das Zeitalter des Ragnarök angebrochen. In der altnordischen Mythologie markiert Ragnarök den Untergang des Universums und den Sturz der Götter aus ihrem scheinbar unbezwingbaren Himmelreich. In den letzten zwei Jahrhunderten hatte sich die Presse zu einem Saatbeet im blühenden Garten der Nachrichtenwelt entwickelt, aus dem ständig neue Informationen sprossen. Wenngleich die Printmedien dann seit der Erfindung von Radio und Fernsehen durch die größere Aktualität der modernen Technologien bedroht zu sein schienen, so war dies nur der äußere Anschein, denn diese neuen Medien waren trotz ihres höheren Tempos immer auch auf Informationen angewiesen, die von Heerscharen namentlich kaum bekannter Zeitungsreporter recherchiert wurden.
Nun befinden wir uns aber mitten im Zeitalter des Internet. Die geringe Reichweite der Zeitungen ist in Verbindung mit dem Weggang der Anzeigenkunden, die das Internet als Plattform für sich entdeckt haben, dem Pressewesen zum Verhängnis geworden. Nach letzten Meldungen stehen deshalb jetzt zwei weitere Tageszeitungen, der San Francisco Chronicle und der Philadelphia Inquirer, am Rande des Bankrotts. In der letzten Februarwoche schloß die in Denver, Colorado, erscheinende Rocky Mountain News nach 150 Jahren ihre Pforten. Noch im September 2006 verbreiteten die Macher des Blattes eine gedruckte Auflage von 250000 Exemplaren. Entscheidend für die Frage, ob eine Zeitung auf dem kapitalistischen Markt bestehen kann, ist aber nicht die Auflagenhöhe, sondern die Anzahl der geschalteten Werbe- und Stellenanzeigen – doch die Anzeigenkunden blieben mehr und mehr aus.
Vor zwei Jahren erklärte der Manager eines kommerziellen Forschungsinstituts zu dieser Entwicklung, daß die Zeitungsunternehmen heute keine höhere Auflage mehr anstreben, sondern eher eine niedrigere, die aber auf einem stabileren Finanzsockel aus dem Anzeigengeschäft stehen müsse. Colby Atwood ist Chef von Borrell Associates Inc., einer auf regionale Internetwerbung spezialisierten Medienforschungs- und Beratungsfirma aus Williamsburg, Virginia. Motto: »Wir wissen, was die Medien von morgen schon heute brauchen«. Atwood erklärte gegenüber einem Reporter der New York Times, bei der Frage der Auflage gehe »Qualität vor Quantität«. Es sei »gut fürs Geschäft und vernünftig«, den Abonnentenstamm »abzubauen, weil der zuviel kostet und eine zu geringe Rendite bringt«.
Wenn Zeitungsunternehmen aber bewußt ihren Abonnentenstamm »abbauen«, dann schneiden sie sich auf der Suche nach der erträumten Goldader ins eigene Fleisch und halten am Ende nichts als Katzengold in ihren Händen.
Auch wenn es kaum eine Meldung aus diesem Bereich thematisiert, hängt das Zeitungssterben aber noch mit einer anderen wesentlichen Ursache zusammen: In den Jahren nach dem 11. September 2001, in denen die Leser es dringend gebraucht hätten, daß ihre Zeitungen die Wahrheit über die drohenden Kriege recherchieren und berichten, hat die bürgerliche Presse versagt. Die Zeitungen sind regelrecht abgetaucht und haben eher den Interessen der Mächtigen gedient, als daß sie auf die Bedürfnisse ihrer Leser eingegangen wären. Die meisten Zeitungen haben die Propagandalinie der Regierung von George W. Bush verkauft, weil sie fürchteten, in Kriegszeiten als illoyal dazustehen und dadurch Abonnenten zu verlieren. Statt dessen haben sie aber genau deshalb viele Leser verloren, weil die Leute nicht mehr glauben konnten, was ihnen da schwarz auf weiß geliefert wurde.
Mittlerweile wurde bekannt, daß einige Chefredakteure ihren Mitarbeitern Arbeitsanweisungen schickten, in denen sie ihnen ausdrücklich verbieten, Agenturfotos von Zivilopfern im Afghanistankrieg zu veröffentlichen. In einem dieser internen Schreiben werden die Reporter angewiesen, Meldungen über Zivilopfer »herunterzuspielen«.
Wen wundert es da noch, daß solche Lügenprodukte der Presse über Absatzrückgang klagen?

Übersetzung: Jürgen Heiser


Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel484.html
Stand: 24.11.2024 um 00:25:20 Uhr