Kolumne 5.09.09: Nur nichts verändern

05.09.09 (von maj) Rassismus ist Alltag in den USA: Afroamerikaner gelten nach wie vor als Freiwild

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 206 - 5./6. September 2009

Die letzte Woche an dieser Stelle behandelte Polizeiaktion gegen Professor Dr. Henry »Skip« Gates, der von der Tür seines Hauses in Cambridge, Massachusetts, in den Polizeigewahrsam verschleppt und gedemütigt wurde, ist bereits wieder in der täglichen Nachrichtenflut untergegangen und nur noch Futter für die Late Night Comedians. Das zeigt, daß selbst einem US-Präsidenten Grenzen gesetzt sind, wenn es darum geht, ein »lehrreiches Moment« für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Wie jeder Schulpädagoge weiß, ist Lernen keine Einbahnstraße. In einen Schüler, der sich einem bestimmten Stoff gegenüber verschließt, geht nun einmal nichts hinein. Und die »Schülerin« in dieser Geschichte, die Gesellschaft der USA, will leider nichts hören über ihren nach wie vor virulenten Rassismus. Dr. Gates waren zum Glück wegen seines Bekanntheitsgrades Prügel oder Schlimmeres erspart geblieben.
Die meisten Afroamerikaner sind leider nicht so privilegiert, wie ein Vorfall gezeigt hat, bei dem Nadra Foster, Produzentin des freien Radiosenders KPFA in Berkeley, Kalifornien, brutal zusammengeschlagen wurde. Als Mrs. Foster eines Tages das KPFA-Gebäude betrat, rief ein Mitarbeiter des Senders die Polizei und gab fälschlicherweise vor, Nadra Foster habe Hausverbot. Nach Zeugenaussagen fiel kurz darauf ein Einsatzkommando von acht Polizisten über Foster her, schlug auf sie ein, riß sie zu Boden, trat ihr gegen den Kopf und verbrachte sie in Handschellen in den Polizeigewahrsam.
Passiert ist dies bereits vor einem Jahr, im August 2008, und da war kein Talkmaster in den USA, dem dieser Vorfall auch nur eine Silbe wert gewesen wäre. Auch der damalige Präsidentschaftskandidat Barack Obama schaltete sich nicht wie bei Gates als »Freund« ein und kritisierte die Polizeiaktion. Nein, die afroamerikanische Mutter, die seit mehr zehn Jahren ehrenamtliche Produzentin des Senders war, blieb allein und niemand bezeichnete die Mißhandlungen durch die Polizei und ihre Festnahme als »dumm«. Bis heute steht Nadra Foster wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Hausfriedensbruchs unter Anklage.
Dieser Vorgang machte keine Schlagzeilen, weil das im Alltag der USA nichts Außergewöhnliches ist. Erst kürzlich hat in Philadelphia die von einem Bezirksstaatsanwalt geleitete Grand Jury – eine nicht öffentlich tagende gerichtliche Vorermittlungsinstanz – beschlossen, die Anklage gegen sechs Polizisten fallenzulassen. Ihnen wurde vorgeworfen, drei schwarze Jugendliche brutal attackiert, niedergeknüppelt und getreten zu haben, weil sie verdächtigt wurden, an einer Schießerei beteiligt gewesen zu sein. Wie sich bald herausstellte, waren die drei Schwarzen unschuldig. Die Grand Jury weigerte sich aber, gegen die Polizisten Anklage zu erheben, obwohl Videoaufnahmen aus einem Hubschrauber exakt belegten, wie ein gutes Dutzend Polizisten wiederholt auf die am Boden liegenden Jugendlichen einschlug und auf ihnen herumtrampelte.
Was zählt, sind Nachrichten nach Art von »Mann beißt Hund«. Nur so etwas ist ungewöhnlich. Und wenn schwarze Männer, Frauen und Jugendliche von Polizisten verprügelt werden, dann ist daran nichts Ungewöhnliches – selbst wenn es auf Videoband dokumentiert wurde. Deshalb wird es weder für die drei mißhandelten schwarzen Jugendlichen noch für die schwarze Mutter, die in ihrem Radiosender zusammengeschlagen wurde, ein Bier bei Obama im Weißen Haus geben. Die gegen sie gerichtete rassistische Gewalt enthält eben kein »lehrreiches Moment«.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:55:23 Uhr