Der nachfolgende Text wurde leicht gekürzt am 16. September 2009 in junge Welt Nr. 215 veröffentlicht. Hier die vollständige Fassung
Das US-Justizministerium hat einmal mehr gezeigt, daß sein vornehmer und anspruchsvoller Name eine reine Farce ist.(+1) Nachdem Lynette Squeaky Fromme aus dem Gefolge des Todeskultführers Charles Manson (die versucht hatte, den früheren US-Präsidenten Gerald Ford zu erschießen), ein kroatischer Terrorist und ein weiterer Ford-Attentäter auf der Basis der gesetzlichen Vorschrift nach 30 Jahren Haft auf Bewährung freigelassen wurden, lehnte der US-Bewährungsausschuß meine Entlassung ab, weil sie »die Respektlosigkeit vor dem Gesetz fördern« würde.
Wenn die US-Regierung nur ihre eigenen Gesetze respektiert hätte, dann wäre ich niemals verurteilt und gezwungen worden, mehr als die Hälfte meines Lebens in Gefangenschaft zu verbringen. Ganz zu schweigen von den bestehenden Verträgen [mit den indigenen Nationen], die nach der US-Verfassung das höchste Gesetz des Landes sind, und von der Tatsache, daß jedes Gesetz in diesem Land ohne Zustimmung der indigenen Völker geschaffen wurde und nur zu unseren Lasten angewendet wird. Meine Erfahrungen sollten zumindest kritische Fragen aufwerfen, ob die Bundespolizei FBI zu Recht zuständig ist für »Indianerland«. (+2)
Daß meine Entlassung angeblich »die Respektlosigkeit vor dem Gesetz fördern« würde, stammt ursprünglich vom derzeit noch amtierenden US-Staatsanwalt Drew Wrigley, der hofft, bald mit Hilfe seiner FBI-Kavallerie in den Amtsitz des Gouverneurs von North Dakota einzuziehen. Damit tritt Wrigley in die Fußstapfen von William Janklow, der seine politische Karriere auf dem Ruf aufbaute, ein »Indianerjäger« zu sein. Er schaffte es, vom Anwalt der Rosebud-Indianerreservation (wo er vermutlich eine Minderjährige vergewaltigte) zum Justizminister des Bundesstaates South Dakota und US-Kongressabgeordneten aufzusteigen. Manche mögen sich noch daran erinnern, daß Janklow für sich reklamierte, Präsident Clinton davon abgebracht zu haben, mich zu begnadigen, bevor er selbst wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde. Janklows historischer Vorgänger, General George Armstrong Custer, hatte auch gehofft, daß ihn das glorreiche Massaker [des 7. US-Kavallerieregiments] an den Sioux ins Weiße Haus katapultieren würde. Aber wir wissen alle, welches Schicksal ihn [am Little Big Horn am 25. Juni 1876] ereilte.
Anders als die Barbaren, die laut kläffend auf den Fluren der Machtzentralen mein Blut verlangen, sind indigene Völker wahre Menschenfreunde, die für ihre Feinde beten. Dennoch müssen wir realistisch genug sein, und uns für den Kampf um Freiheit und Gleichheit als Nationen zu organisieren. Wir stellen fünf Prozent der Bevölkerung von North Dakota und zehn Prozent von South Dakota, und wir könnten diesen Einfluß geltend machen, um unsere Machtposition auf den Reservationen zu stärken. Darauf sollten wir unser Hauptaugenmerk richten. Wenn wir uns als Wählerblock organisierten, könnten wir der ganzen rassistischen Propaganda von der Konkurrenz zwischen den Dakota-Stämmen eine Niederlage erteilen. In den 1970er Jahren waren wir gezwungen, zu den Waffen zu greifen, um unser Recht auf Überleben und Selbstverteidigung zu bekräftigen, aber heute kämpfen wir um Ideen. Gegen die bewaffnete Unterdrückung und Kolonisierung müssen wir uns mit Körper und Geist erheben. Das Völkerrecht ist auf unserer Seite.
Angesichts der eingangs genannten drei Haftaussetzungen zur Bewährung scheint es mein größtes Verbrechen zu sein, daß ich ein Indianer bin. Aber in Wahrheit ist meine Unschuld mein schlimmstes Delikt. In Iran werden politische Gefangene bisweilen freigelassen, nachdem sie Geständnisse zu lächerlichen Anklagen gemacht haben, für die man sie vor Gericht gezerrt hat, um sie oder andere gleichgesinnte Mitbürger zu diskreditieren und einzuschüchtern. Nichts anderes haben das FBI und seine Sprachrohre bei mir gemacht, genauso wie der Bewährungsausschuß, der schon 1993 meine Entlassung auf Bewährung ablehnte, weil ich das geforderte Geständnis verweigerte.
Wen jemand seine Unschuld beteuert, bedeutet das zwangsläufig, daß der Staat falsch liegt, gar selbst schuldig ist. Im US-Rechtssystem wird der Angeklagte nicht für das eigentliche Verbrechen verurteilt, sondern dafür, daß er sich weigert, sich auf einen Handel einzulassen, und weil er es wagt, die Justiz zu zwingen, dem Beschuldigten das Recht zuzubilligen, die vom Staat erhobene Anklage zurückzuweisen. Eine solche »Anmaßung« wird ausnahmslos mit den härtesten Strafanträgen der Staatsanwaltschaft beantwortet, die gängige Richtlinien für das Strafmaß überschreiten und bei denen Bewährung generell verweigert wird.
Der Haß, der uns von Nichtindigenen entgegengebracht wird, zeigt, daß wir alle in einem Boot sitzen. Wenn unsere Stammesregierungen versuchen, dieses Herrschaftssystem nachzuahmen, ist das gelinde gesagt erbärmlich.
Erst kürzlich hat der Oberste Gerichtshof der USA im Fall von Troy Davis die mutmaßliche Unschuld als ausreichende Begründung für einen Berufungsantrag anerkannt. Genau wie die Zeugen, die genötigt wurden, belastende Aussagen gegen mich zu machen, haben die gegen Troy Davis aufgetretenen Belastungszeugen ihre Aussagen widerrufen. Troy Davis stand schon kurz vor seiner Hinrichtung. Ich wäre schon lange hingerichtet worden, wenn die kanadische Regierung an meine Auslieferung nicht die Bedingung geknüpft hätte, daß die Todesstrafe gegen mich nicht verhängt werden darf.
Die alte Ordnung wird sehr treffend durch Richter Antonin Scalia vom Obersten Gerichtshof repräsentiert, der in seinem abweichenden Minderheitsvotum zum Berufungsantrag von Davis konstatierte: »Dieses Gericht hat noch nie geltend gemacht, daß die Verfassung die Hinrichtung eines verurteilten Beschuldigten verbietet, der einen vollständigen und fairen Prozeß hatte, später aber ein Habeas-Corpus-Gericht davon überzeugen kann, daß er ›faktisch‹ unschuldig ist. Ganz im Gegenteilt haben wir diese Frage sogar oft unbeantwortet gelassen, während wir gleichzeitig erhebliche Zweifel äußerten, daß jede Behauptung einer vermeintlichen ›faktischen Unschuld‹ verfassungsrechtlich relevant ist.«
Senator Byron Dorgan aus North Dakota, derzeit Vorsitzender des »Senatsausschusses für indianische Angelegenheiten«, führte fast identische Argumente an, als er schrieb, »unser Rechtssystem hat Leonard Peltier des Verbrechens für schuldig befunden, wegen dem er angeklagt war. Ich habe die Prozeßakten durchgesehen, und ich bin überzeugt, daß das Urteil fair und gerecht war«.
Für die Ureinwohner Nordamerikas ist es ein groteskes und unfaßbares Argument, daß die Frage nach Unschuld oder Schuld nur etwas mit einem rein rechtlichen Status zu tun haben soll, und die Antwort darauf nicht notwendigerweise in materiellen Fakten begründet sein muß. Es ist allseits bekannt, daß politische Gefangene unabhängig von der Frage nach faktischer Schuld oder Unschuld stets für das, was man ihnen vorwarf, auch verurteilt wurden.
Der Staat verlangt von mir ein falsches Geständnis, um damit ein eher schlampig durchgeführtes Gerichtsverfahren, mit dem ich unschuldig ins Gefängnis geworfen wurde, rechtfertigen zu können. Würden diese Machenschaften aufgedeckt, müßte das zwangsläufig zu einer Untersuchung darüber führen, wie die Vereinigten Staaten auf der Pine-Ridge-Reservation Schlägertrupps trainiert und mit Waffen ausgestattet haben, um eine Basisbewegung zu unterdrücken, die sich dort gegen die Diktatur einer von außen gesteuerten Reservationsverwaltung zur Wehr setzte.
In den USA ist klar definiert, daß es keine politischen Gefangenen geben kann, sondern nur Straftäter, die von ihrem gesetzlichen Richter ordnungsgemäß verurteilt wurden. Man meidet die öffentliche Kontroverse darum, ob die US-Regierung tatsächlich Beweise fabriziert oder unterdrückt, um jene zu bekämpfen, die man als politische Gegner ansieht. Aber genau das ist in jeder Phase des Verfahrens gegen mich geschehen.
Ich bin jetzt Barack Obamas politischer Gefangener, und ich hoffe und bete, daß er den Idealen treu bleibt, für die er als Präsidentschaftskandidat eingetreten ist. Aber wie Obama selbst einräumen würde, hätten wir seine Kampagne nicht verstanden, wenn wir von ihm die Lösung unserer Probleme erwarteten. Nur wenn wir uns selbst organisieren und Druck auf unsere vermeintlichen Anführer ausüben, können wir die Veränderungen erreichen, die wir so dringend brauchen. Unterstützt bitte das Leonard Peltier Defense/Offense Committee dabei, die US-Regierung beim Wort zu nehmen.
Ich danke euch allen, die ihr mir in all den Jahren zur Seite gestanden habt. Ich kann hier niemanden mit Namen nennen, weil ich dann zu viele weglassen würde.
Wir dürfen niemals die Hoffnung aufgeben in unserem Freiheitskampf.
In the Spirit of Crazy Horse,
Leonard Peltier
11. September 2009
Schreibt Leonard an folgende Adresse:
Leonard Peltier # 89637-132
USP-Lewisburg, US Penitentiary
P.O. Box 1000
LEWISBURG, PA 17837, USA
Anmerkungen:
(+1) Im Englischen »US Department of Justice«, also direkt übersetzt »US-Ministerium für Gerechtigkeit«
(+2) Nach den seit dem 19. Jahrhundert bestehenden und immer noch rechtskräftigen Verträgen zwischen den einzelnen indigenen Nationen und der US-Regierung sind die Stammesgebiete (oder „Reservationen“) souveräne Gebiete dieser Nationen innerhalb der US-Grenzen und unterliegen der in den Verträgen spezifizierten Selbstverwaltung, wozu in der Regel auch eine eigenständige Polizeigewalt gehört.
[Übersetzung: Jürgen Heiser]