Kolumne 19.09.09: Tod hinter Gittern

19.09.09 (von maj) Wenn der Ermordete ein schwarzer Häftling ist, dann gibt es keinen Mörder

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 218 - 19./20. September 2009

Im Todestrakt geht der Tod um, auch wenn keine vom Staat angeordneten Hinrichtungen stattfinden. Am Dienstag, dem 1. September, wurde José »June« Pagan erhängt in einer Todeszelle des Graterford Gefängnisses im Südosten Pennsylvanias aufgefunden. In Schockwellen lief die Nachricht durch den Trakt und entsetzte vor allem all jene, die June gut kannten. Niemand hätte geglaubt, daß er sich selbst das Leben nehmen könnte. June war als optimistischer, nach vorn schauender Mann bekannt, der die Vorwürfe, die ihn in den Todestrakt gebracht hatten, immer von sich gewiesen hat. Auch im Knast war er für sein außerordentliches Können als Handballer bekannt und nicht zuletzt auch wegen seiner kulinarischen Künste. Aus Käse und Fleisch konnte er eine Mahlzeit kochen, die er »Chi-Chi« nannte, eine heiße Gaumenschmelze, mit der sich seine Kumpel nicht genug den Bauch vollschlagen konnten.
1992 war er zum Tode verurteilt und in den Todestrakt gesteckt worden. Zusammen mit ein paar anderen jungen Männern wurde ihm vorgeworfen, in einem Reihenhaus in North Philadelphia ein Paar überfallen, ausgeraubt und umgebracht zu haben. Das Haus war als Drogentreffpunkt stadtbekannt. Komischerweise hatte June nur noch wenige Tage im Todestrakt vor sich, weil er sich auf einen Deal eingelassen hatte, durch den sein Todesurteil in lebenslange Haft umgewandelt wurde. Wie jemand aus seinem Umfeld sagte, war er nach den 17 Jahren Isolation im Todestrakt, die seine Seele angefressen hatten, »vielleicht einfach müde«. Möglicherweise hatten ihm diese Jahre mehr zugesetzt, als er es selbst wahrhaben wollte. Am Tag zuvor hatte er seine persönliche Habe an seine Familie schicken lassen und sich gegen Abend noch einen Kaffee von seinem Zellennachbarn geborgt. Am nächsten Morgen war er tot. José »June« Pagan wurde 42 Jahre alt.
Aber nicht nur im Todestrakt wird gestorben. Im Juni 2008 wurde der 19jährige Ronnie L. White leblos in einer Zelle des Bezirksgefängnisses von Upper Marlboro, Prince George’s County, im Bundesstaat Maryland gefunden. Nach Angaben seines Vaters Ron Harris war Ronnie erst seit 36 Stunden in Haft, weil er angeblich den Polizeibeamten Richard Findley mit einem gestohlenen Lieferwagen überfahren und Fahrerflucht begangen haben sollte. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, daß Ronnie durch Fremdeinwirkung stranguliert worden war. Kriminalpolizei und FBI nahmen die Ermittlungen gegen Gefängniswärter auf, die allesamt unter Berufung auf ihre Verfassungsrechte die Aussage verweigerten. Jack Johnson, Verwaltungsbeamter des Gefängnisses: »Wir denken nur an den getöteten Polizeibeamten. Deshalb will auch ich über nichts anderes reden.«
Im Dezember 2008 erklärte Ronnies Vater gegenüber Reportern: »Jetzt ist es sechs Monate her, und mir kann immer noch niemand sagen, wer meinen Sohn getötet hat oder was vorgefallen ist und zum Tod meines Sohnes geführt hat.«
Vor Ort griffen Initiativen zur Beobachtung der Polizei wie die People’s Coalition for Police Accountability und die Bürgerrechtsorganisation NAACP den Fall auf und protestierten gegen die schleppenden Ermittlungen. Der Vorwurf wurde laut, es sei Rassismus im Spiel, weil der Polizist weiß war und Ronnie schwarz.
Aber für Bobby Henry Jr., den Anwalt von Ronnies Familie, geht es »nicht um Schwarz oder Weiß, sondern um Recht oder Unrecht«. Ronnie L. White sei nicht an jenem Junitag mit dem Vorsatz aufgestanden, ein Auto zu stehlen und einen Polizisten zu überfahren. »Aber am Sonntag morgen, als mein Mandant starb, sind ein paar Leute mit dem Vorsatz aufgestanden, sich zu einem Mord an einem wehrlosen Gefangenen zu verschwören«, so der Anwalt.
Ron Harris ergänzt: »Mein Sohn starb in der Isolation einer Zelle. Im Knast weiß man, wer an diesem Tag Dienst hatte und wo jeder sich befand. Die Türen waren verschlossen, und nur wenige Leute hatten die Schlüssel. Und trotzdem soll es nach all der Zeit nicht genug Beweise geben, wer es getan hat? Warum nicht?«

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:04:21 Uhr