Kolumne 17.10.09: Den Status quo zementieren

17.10.09 (von maj) Zweierlei Maß: Kampagne gegen Armenorganisation, Förderung gewaltorientierter Privatarmee

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 241 - 17./18. Oktober 2009

Nichts gibt besser Auskunft über den Zustand der US-Medien als ihre neuesten Schmutzkampagnen, mit denen an unsere Herzen gerührt, unsere liebgewordenen Gewissheiten und Vorurteile zementiert und der Staus quo erhalten werden soll.
Seit Monaten sind rechte TV-Moderatoren unablässig auf ACORN herumgeritten, der Association of Community Organizations for Reform Now (Vereinigung der Gemeinwesenoganisationen für Reform jetzt). Die 1970 gegründete Organisation ist nach eigenem Bekunden »die landesweit größte Gemeinwesenorganisation von Menschen mit niedrigem Einkommen«. In ihr sind »über 400000 Familien in mehr als 1200 Statteilgruppen in 75 Städten von 40 Bundesstaaten organisiert«. In der Welt rechtskonservativer Sender wie Fox hingegen ist ACORN nichts anderes als die aktuelle Version der Kommunistischen Partei der USA der 1950er Jahre, und deshalb werden die Mitglieder der Vereinigung selbstverständlich auch in leuchtendem Rot als »Staatsfeinde« gezeichnet.
Die Massenmedien schlossen sich Ende September auf breiter Front der Kampagne an, als ACORN durch das Possenspiel eines rechten Paares, das sich vor versteckter Kamera als Zuhälter mit leichtbekleideter Prostitierter ausgab, landesweit in die Schlagzeilen geriet. Der kurze Filmstreifen zeigt ACORN-Mitarbeiter, die diesem angeblichen »Paar« im vertraulichen, locker geführten Gespräch Tips geben, wie es die Steuer umgehen und weiter munter seinen Geschäften nachgehen kann. Das fragwürdige Verhalten dieser ACORN-Leute diente als willkommener Anlaß, die gesamte Organisation über Nacht in Verruf zu bringen. Institutionen der US-Bundesregierung und verschiedener Bundesstaaten kündigten fristlos ihre Verträge mit ACORN-Einrichtungen, die sich vielerorts um Menschen kümmern, die von schlechten Wohnverhältnissen, Zwangsversteigerungen ihrer Eigenheime und Konflikten um ihre Arbeits- und Wahlrechte betroffen sind. Nun drängten sich insbesondere Politiker der Republikanischen Partei übereilt um jedes hingehaltene Mikrophon, um sich von ACORN zu distanzieren und die Arbeit der Vereinigung zu denunzieren.
Die jetzige Medienkampagne ist nicht neu. Im Wahlkampf 2004 , den der damalige US-Präsident George W. Bush um seine Wiederwahl führte, versuchte Karl Rove, Bushs engster Berater, ACORN auszuschalten, weil die Organisation mit großem Einsatz dafür sorgte, daß sich die Armen und an den Rand der Gesellschaft Gedrängten in großer Zahl als Wähler registrieren ließen. Rove setzte zahlreiche Staatsanwaltschaften unter Druck, nach Vorwänden zu suchen, um ACORN unter Anklage stellen zu können. Er scheiterte, aber die Republikaner ließen nicht nach, ACORN zerstören zu wollen. Bis heute ist www.rottenacorn.com (»Faule Eichel«, nach dem Symbol von ACORN, der Eichel) eine der vom Großkapital finanzierten Plattformen, die dieses Ziel verfolgen.
Um die Wucht des Angriffs auf ACORN ermessen zu können, muß man sich nur anschauen, wie mit einer anderen Organisation umgegangen wird. Blackwater, ein Sicherheitskonzern, der seine Privatarmeen weltweit einsetzt, schaut auf ein langes Sündenregister schwerster Gewalttaten zurück, die von seinen schießwütigen Söldner begangen wurden. Blackwater hat viele lukrative Verträge mit dem US-Außenministerium und anderen Regierungsstellen abgeschlossen. Im Jahr 2007 richteten Blackwater-Söldner ein Massaker mitten auf einer verkehrsreichen Kreuzung in Bagdad an. Der Vorfall führte zu verstärkten Aktionen der irakischen Aufständischen und schadete dem Ansehen der Marionettenregierung unter Premierminister Nur al-Malid, weshalb dieser von den USA den sofortigen Abzug aller Blackwatereinheiten aus Irak forderte. Aber bis heute sind sie immer noch dort, nur unter ihrem neuen Namen »Xe Services«. Hat das Massaker mit seinen 17 Toten zu einer konzertierten Medienkampagne geführt? Nein. Wurden Verträge gekündigt? Mitnichten. Die Obama-Regierung hat sogar in letzter Zeit neue Verträge mit Xe Services abgeschlossen.
Zweierlei Maß: Zunder für die einen, weil sie die Armen in den USA dabei unterstützen, ihr Leben inmitten zunehmender ökonomischer Unsicherheit zu meistern, und stillschweigendes Wohlwollen für die anderen, weil sie die Interessen der Reichen und Rechten in der Welt schützen.
Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:25:53 Uhr