Kolumne 14.11.09: Major, Psychiater, Amokläufer

14.11.09 (von maj) Was trieb den US-Offizier Nidal Malik Hasan dazu, auf seine eigenen Leute zu schießen?

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 264 - 14./15. November 2009

Am 5. November kam es erneut zu einem Amoklauf in den USA. Dieses Mal war es ein US-Soldat, der auf andere Soldaten schoß. Was den Vorfall gegenüber bisherigen vergleichbaren so bemerkenswert macht, ist die Tatsache, daß der Amokläufer mehr ist als ein Soldat. Er ist Arzt, Psychiater und – gläubiger Muslim.
Wie berichtet wurde, hat Major Nidal Malik Hasan im texanischen Fort Hood, der größten Militärbasis der USA, das Feuer auf seine Kameraden eröffnet, wobei er dreizehn von ihnen tötete und Dutzende verletzte. Die Geschehnisse werfen die Frage auf, welcher Teil seiner offensichtlich gespaltenen Persönlichkeit diesen Mann dazu getrieben hat, die eigene Kaserne zu stürmen und wahllos um sich zu schießen. War es der Arzt in ihm? Wohl kaum. Der Psychiater? Äußerst zweifelhaft. Der Major? Unwahrscheinlich. Der Muslim? Großes Fragezeichen. Die Antwort auf diese Frage wird höchstwahrscheinlich einige Zeit auf sich warten lassen, denn Major Dr. Hasan wurde selbst von Kugeln getroffen, als Wachsoldaten sein Feuer erwiderten. Er liegt im Koma und ist nicht in der Lage, Auskunft über seine Beweggründe zu geben.
Nach ersten Berichten, die wie immer nicht besonders verläßlich sein müssen, war Major Dr. Hasan nicht damit einverstanden, sich nach Afghanistan verlegen zu lassen, eine traditionelle islamische Gesellschaft. In deren Bevölkerung ist ein nationalistischer Widerstand verwurzelt, der ständig stärker wird und sich immer wirkungsvoller gegen die US-Armee und die anderen westlichen Besatzungsarmeen richtet.
Major Dr. Hasan ist ein Bürger der USA, geboren, aufgewachsen und ausgebildet in diesem Land. Während der Ausübung seines Berufs als Militärpsychiater sind ihm von seiten seiner Probanden und Kameraden zweifellos schlimmste Ängste, Haßgefühle und rassistische Schmähungen gegenüber Arabern und Muslimen zu Ohren gekommen. Welche Arten von Streß und Konflikten kann das in ihm ausgelöst haben? Sein Handeln mag sich deshalb als ein Fanal gegen die Kriege in Afghanistan und Irak herausstellen –ausgeführt nicht von einem »durchgeknallten Terroristen« oder linken Antimilitäristen, sondern von einem Angehörigen der US-Armee, einem Berufsoffizier und vermutlichen Gentleman, einem Arzt und Psychiater.
Es ist schon fast eine Ironie dieser Geschichte, daß sich, so der britische Guardian vom 6. November 2009, zeitgleich zu diesem Amoklauf eine Veteranengruppe aus Austin, Texas, in der US-Hauptstadt Washington mit Vertretern des Streitkräfteausschusses zu einer Unterredung traf, um die Senatoren um die Einsetzung von mehr Fachpersonal zur Betreuung der von Kriegseinsätzen heimkehrenden Soldaten zu bitten. Paul Sullivan, Geschäftsführer des Vereins »Veterans for Common Sense«, erklärte nach der Sitzung, seine Organisation habe seit langem davor gewarnt, Vorfälle wie der in Fort Hood könnten sich jederzeit ereignen. »Wir haben unermüdlich daran gearbeitet, das zu verhindern«, zitierte ihn der Guardian. Das Geschehen von Fort Hood sei schrecklich und »eine Tragödie«.
Allerdings erfuhr auch Sullivan erst nach der Sitzung des Ausschusses davon. Während des Treffens auf dem Capitol Hill hatte die Veteranenorganisation die Ausschußmitglieder darüber unterrichtet, daß es im US-Militär vermehrt zu Gewalttaten von Soldaten komme, die unter posttraumatischer Belastungsstörung litten; und daß die Selbstmordrate schon vor Ablauf des Jahres 2009 ein Rekordhoch erreicht habe, das an die Zeiten des Vietnamkrieges erinnere.
Vielleicht sah Major Dr. Hasan nach allem Leid, von dem er in seinem Beruf erfuhr, für sich keine andere Möglichkeit, als mit seiner Tat sein ganz persönliches Urteil über die derzeitigen Kriege zum Ausdruck zu bringen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel562.html
Stand: 24.11.2024 um 01:45:08 Uhr