Kolumne 24.12.09: Feiertage hinter Gittern

24.12.09 (von maj) Wie US-Richter mit dem Einsperren unschuldiger Kinder Unsummen von Geld verdienen

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 298 - 24.-27. Dezember 2009

Weihnachten, das »Fest der Kinder«? Wie viele Minderjährige verbringen allein in den USA die Feiertage hinter Gittern? Am 21. Februar 2009 war an dieser Stelle zu lesen, daß gegen zwei Richter aus Luzerne County, Pennsylvania, staatsanwaltschaftlich ermittelt wurde. Ihnen wurde vorgeworfen, jugendliche Angeklagte ohne wirkliche Prüfung der Vorwürfe zu Haftstrafen in einem Privatgefängnis verurteilt und dafür von der Betreiberfirma des Gefängnisses Schmiergelder erhalten zu haben. Richter Mark A. Ciavarella und der Vorsitzende Richter Michael T. Conahan hatten Hunderte Jungen und Mädchen zum Absitzen von Haftstrafen in diesem Privatgefängnis verurteilt und dafür als Gegenleistung rund 2,5 Millionen US-Dollar erhalten.
Wie war solch kriminelles Handeln im Amt über Jahre überhaupt möglich? Es konnte passieren, weil das gesellschaftliche Umfeld der Richter es richtig fand, Jugendliche wegen Lappalien hinter Gitter zu bringen. Wegen Schulschwänzens, verspäteten Erscheinens zum Unterricht, Brechung verordneten Hausarrests und ähnlichen Bagatellen. Niemand gebot den Richtern Einhalt, manche priesen ihr Vorgehen unter dem Motto »Null Toleranz!« sogar öffentlich. Als Sandra Brulo, die ehemalige Leiterin der Bewährungshilfe für Jugendliche, zu den vielen Verurteilungen von Jugendlichen zu Gefängnisstrafen befragt wurde, erklärte sie: »Der Richter hat das letzte Wort, und niemand möchte ihn hinterfragen.« Und genau so verhielten sich die meisten, die tatenlos zusahen, während zunächst Dutzende, dann Hunderte und schließlich Tausende Jugendliche eingesperrt wurden.
Nach Brulos Worten wollte niemand »Ärger machen« oder »für Aufruhr sorgen«. Dabei hätte es dafür Grund genug gegeben, weil es natürlich illegal ist, wenn Richter aus dem Einsperren von Jugendlichen Profit schlagen. Aber auch ohne das Einstreichen der Schmiergelder war das Handeln der Richter nach den Bestimmungen des in Pennsylvania geltenden Jugendstrafrechts ein kriminelles Delikt im Amt. Denn die meisten Jugendlichen wurden verurteilt, ohne eine im Gesetz garantierte anwaltliche Vertretung zu haben. Nach dem Paragraphen 6337 des Jugendstrafrechts müssen Minderjährige vor Gericht »obligatorisch« einen Pflichtverteidiger zur Seite gestellt bekommen, es sei denn, daß die Eltern oder ein anderer gesetzlicher Vertreter schriftlich erklären, auf diesen juristischen Beistand zu verzichten. Der Oberste Gerichtshof der USA hat sogar in einer Grundsatzentscheidung ausdrücklich das verfassungsmäßige Recht von Minderjährigen auf anwaltlichen Beistand wie in Verfahren nach dem Erwachsenenstrafrecht festgeschrieben. Aber wen kümmert schon die Verfassung, wenn es darum geht, Profit zu machen? Nach Aussagen von Sandra Brulo wurden die Haftbefehle zur Überstellung in das Privatgefängnis von den beiden Richtern in vielen Fällen bereits unterzeichnet, bevor es überhaupt zur Gerichtsverhandlung kam.
Welche Schicksale verbergen sich hinter diesen Worten. Da wäre Matt Kluback zu nennen, der mit 13 Jahren von Richter Ciavarella ins Gefängnis gesteckt wurde. Sein »Verbrechen«? Der Freund seiner alleinerziehenden Mutter hatte ihn angezeigt, weil der Junge, Siebtkläßler und kaum 40 Kilo schwer, ihn geschubst und ein Steak nach ihm geworfen habe. Matt wurde wegen Körperverletzung und Belästigung verurteilt und mußte 48 Tage in strenger Einzelhaft verbringen, bis eine Zeitung über diese Ungeheuerlichkeit berichtete und er in der Folge freigelassen wurde. Zuvor hatte Matts leiblicher Vater von einem Bewährungshelfer noch die erschütternde Auskunft erhalten, aufgrund des Urteils könne sein Sohn bis zu seinem 21. Geburtstag in Haft gehalten werden!
Hillary Transue war 15 Jahre alt, als sie in Ciavarellas richterliche Gewalt geriet. Ihr »Verbrechen«? Sie hatte bei »Myspace« eine Seite über den stellvertretenden Direktor ihrer Schule ins Internet gestellt. Dafür wurde sie wegen Belästigung zu drei Monaten Jugendstrafe verurteilt. Das Juvenile Law Center (Zentrum für Jugendstrafrecht) erreichte ihre Freilassung, nachdem sie bereits einen Monat in strenger Einzelhaft verbracht hatte.
Das waren nur zwei von unzähligen Beispielen. Und was wurde aus den beiden Richtern Ciavarella und Conahan? Ein Bundesrichter entschied kürzlich, daß sie für alles, was sie im Richteramt zu verantworten haben, Immunität vor Strafverfolgung genießen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 00:14:58 Uhr