Kolumne 17.04.2010: Sturz einer Marionette

17.04.10 (von maj) Kirgistan: Wie ein von den USA großzügig ausgestatteter »Farbenrevolutionär« vertrieben wurde

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 89 – 17./18. April 2010

Die jüngsten dramatischen Ereignisse in der Kirgisischen Republik im Herzen Zentral­asiens begannen mit Demonstrationen und Protesten gegen die Regierung unter Präsident Kurmanbek Bakijew. Nach mehrtägigen Straßenkämpfen zwischen Polizei und einer wachsenden Zahl von Regierungsgegnern flüchtete der Präsident mit seinen Getreuen aus dem Amtssitz. Seine Gegner setzten am 7. April 2010 in der Hauptstadt Bischkek eine Übergangsregierung unter Führung der früheren Außenministerin Rosa Otunbajewa ein.
Präsident Bakijew war selbst fünf Jahre zuvor durch Massenproteste an die Macht gekommen. Auslöser der sogenannten Tulpenrevolution waren Vorwürfe, bei den Parlamentswahlen im Februar 2005 sei es zu umfangreichen Wahlmanipulationen zugunsten des damaligen Präsidenten Askar Akajew gekommen. Akajew mußte gehen, und Bakijew, der sich großer Beliebtheit erfreute und als Anführer der Massenproteste galt, wurde sein Nachfolger.
Was war schiefgelaufen, daß der neue Präsident nur wenige Jahre später weite Teile der Bevölkerung gegen sich aufgebracht hatte? Wie konnte es zu einem solchen Aufbegehren gegen ein Regime kommen, das durch eine »Farbenrevolution« etabliert worden war und sich der Unterstützung der USA erfreute, die auf diese Weise für Regimewechsel in Ländern außerhalb ihrer Einflußspäre sorgten?
Als einer der wesentlichen Gründe gilt, daß sich das Bakijew-Regime immer mehr in den Dienst des von den USA angeführten »Krieges gegen den Terror« gestellt hatte. Parallel dazu wurde der Regierungsstil des Staatschefs zunehmend autoritär und repressiv. Zuletzt versuchte Bakijew vergeblich, der Proteste durch Ausgangssperren, Verhängung des Ausnahmezustands und Einsatz von Scharfschützen Herr zu werden.
Wie zu erwarten war, erfüllte die eruptive Entwicklung, die in der Absetzung Bakijews gipfelte, die US-Regierung mit Sorge um die Beziehungen zu Kirgistan. Der Zusammenhang erschließt sich schnell, wenn man bedenkt, daß sich etwa 35 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Bischkek entfernt auf dem Gelände des Internationalen Zivilflughafens Kirgistans die Manas-Airbase der Vereinigten Staaten von Amerika befindet. Dort sind Tausende US-Soldaten stationiert, und die Army wickelt über die mit 4,2 Kilometer längste Start- und Landebahn der Region die Versorgung der US- und NATO-Truppen in Afghanistan ab. Damit dient Kirgistan in der Region als das Haupteinfallstor der Besatzungstruppen nach Afghanistan und Pakistan.
Nach Meinung von Beobachtern war der Bakijew-Familienclan Nutznießer lukrativer Verträge, mit denen sich die USA die ungehinderte Fortsetzung ihrer militärischen Präsenz auf der Manas-Airbase erkauften. Auch wenn in den westlichen Medien längst andere Schlagzeilen den Ton angeben, hat sich die Lage in dem an der Grenze zu China gelegenen Land noch nicht beruhigt. Die neuen Kräfteverhältnisse in Kirgistan sind weiterhin ungeklärt.
Washington hat in diesem »Krieg gegen den Terror« ebenso wie im vorausgegangenen Kalten Krieg den Schwerpunkt darauf gelegt, die Staatsführungen verbündeter Länder zu vereinnahmen und auf ihre Gefolgschaft gegenüber den USA zu verpflichten oder sie unter Druck zu setzen. Oft genug geschah und geschieht das auf Kosten der Herstellung demokratischer Verhältnisse, um die es vorgeblich bei den »Farbenrevolutionen« immer gehen sollte. Wie bei jedem ihrer imperialen Vorhaben bevorzugt die US-Regierung jedoch die Zusammenarbeit mit Marionettenregierungen, die in der Regel nicht von der Bevölkerung unterstützt werden. Folglich werden solche Verhältnisse zu Auslösern von Protesten, aus denen unausweichlich der Funke schlagen kann, an dem sich Revolutionen entzünden.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 02:15:42 Uhr