Kolumne 3. Juli 2010: Abgang eines Generals

03.07.10 (von maj) Der Fall von Stanley McChrystal steht für den Konflikt zwischen Militär und Politik

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 151 – 3./4. Juli 2010

US-General Stanley McChrystal war seit Juni 2009 Kommandeur der ISAF-Truppen in Afghanistan. Obwohl US-Präsident Barack Obama voll hinter dem Vier-Sterne-General stand, verhöhnte McChrystal ihn und weitere Mitglieder der Regierung in einem Interview des US-Magazins Rolling Stone. Am 23. Juni 2010 nahm Obama nach einem Gespräch, zu dem er den General ins Weiße Haus zitiert hatte, dessen Rücktrittsersuchen an. Als Nachfolger nominierte er General David H. Petraeus, den ehemaligen Oberbefehlshaber der Besatzer in Irak.
Der Konflikt zwischen Obama und McChrystal steht in einer langen Reihe von Widersprüchen und Auseinandersetzungen zwischen den US-Militärs und ihrer politischen Führung. Während des nordamerikanischen Bürgerkriegs (1861–65) war einer der heftigsten Opponenten des damaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln gleichzeitig Oberbefehlshaber der Unionstruppen, die gegen die Sezession der Sklavenhalterstaaten im Süden der USA kämpften. Vergleicht man das Handeln dieses Generals George B. McClellan gegenüber seinem Präsidenten Lincoln mit dem McChrystals, dann erscheint die Geringschätzung des Letzteren gegenüber Obama allerdings geradezu harmlos.
So schildern Historiker beispielsweise eine Situation, in der Präsident Lincoln General McClellan aufsucht. In dessen Washingtoner Privatdomizil läßt man das Staatsoberhaupt zunächst lange Zeit warten. Schließlich teilt ihm die Ehefrau des Generals mit, ihrem Mann sei unpäßlich. Als jemand aus Lincolns Entourage über die Respektlosigkeit des Generals eine Bemerkung macht, soll Lincoln erwidert haben, es sei nicht der Rede wert, wenn sich der General respektlos zeige, solange er nur seinem Auftrag folge und den Krieg angemessen führe und gewänne.
Allerdings sah sich McClellan außerstande, dem Befehl seines Präsidenten zu folgen. Aus Gründen, die mit seiner persönlichen Einschätzung der Kriegslage zu tun hatten, hintertrieb er den Auftrag, versuchte Zeit zu schinden und ließ günstige Gelegenheiten, das Kriegsziel zu erreichen, verstreichen. Lincoln sah sich schließlich gezwungen, ihn zu feuern.
Danach ging McClellan in die Politik und kandidierte 1864 für die Demokratische Partei gegen Lincoln. Im Wahlkampf trat der Exgeneral dafür ein, die Kämpfe gegen den Süden durch Verhandlungen zu beenden, was auf eine Anerkennung der Sezession hinausgelaufen wäre. Aufgrund der Kriegsmüdigkeit im Norden galt McClellan zunächst als der aussichtsreichere Kandidat. Doch als General William T. Shermans nur wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl einige militärische Erfolge verbuchen konnte, schlug die Stimmung zugunsten von Lincoln um. Er gewann die Wahl und den Krieg. Den endgültigen Sieg erlebte er allerdings nicht mehr, weil er Opfer einer Verschwörung von Sklavereibefürwortern wurde und kurz vor Ende des Bürgerkriegs ermordet wurde.
Die Wahrheit damals wie heute ist: Die hohen Militärs in der US-Geschichte respektieren selten ihre politische Führung, vor allem dann nicht, wenn diese Präsidenten oder Minister selbst nicht gedient haben. Das traf auf Lincoln zu, der nur an einem kurzzeitigen Scharmützel während der Indianerkriege im Bundesstaat Illinois teilgenommen hatte. Das gilt für den früheren Präsidenten William Clinton ebenso wie für Obama.
Dahinter steckt ein Muster: Die meisten Äußerungen McChrystals und anderer Militärs seines Stabes waren nicht einfach Despektierlichkeiten gegenüber Obama und seinem Kabinett, wie die Bürgermedien glauben machen wollen. Worum es wirklich ging, sprach Generalmajor Bill Mayvilles offen aus. Gefragt nach Sieg oder Scheitern im Afghanistanfeldzug, wird McChrystals früherer Operationschef folgendermaßen zitiert: »Es sieht nicht nach einem Sieg aus, es riecht nicht nach einem Sieg und es schmeckt nicht nach einem Sieg. Über diese Frage wird es Streit geben.«
Wenn es in Afghanistan weder nach einem Sieg aussieht, noch danach riecht oder schmeckt – wie soll man dann das nennen, was dabei herauskommt?

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:54:42 Uhr