Kolumne 17.07.2010: »Nicht zu gewinnen«

17.07.10 (von maj) Die Wahrheit über den Afghanistan-Krieg gilt in Washington als »Affront gegen die Ehre«

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 163 – 17./11. Juli 2010

Als der Vorsitzende des Nationalkomitees der Republikanischen Partei, Michael Steele, unlängst erklärte, der Afghanistan-Krieg sei »nicht zu gewinnen«, da ging eine Welle des Protests durch seine Partei. Rufe nach seinem Rücktritt wurden laut. »Das ist empörend!« donnerten die einen. »Mr. Steele hat unserer Partei einen schlechten Dienst erwiesen«, beschwerten sich andere.
William Kristol, Herausgeber des in Washington D.C. erscheinenden Weekly Standard, nannte Steeles Bemerkungen »einen Affront sowohl gegen die Ehre der Republikanischen Partei als auch gegen den Einsatz der Soldaten, die dafür kämpfen, den Auftrag zu erfüllen, der ihnen von unseren gewählten Politikern erteilt wurde.« Erick Erickson, der für den konservativen Blog RedState schreibt, sagte, Steele habe »jede moralische Autorität verloren, die Grand Old Party zu führen.«
Steele leitet das Republican National Committee (RNC), das nationale Organisationsgremium der Grand Old Party (GOP), wie die Republikanische Partei ehrfürchtig von ihren Mitgliedern genannt wird. Das RNC koordiniert die Wahlkämpfe und die Spendenaktionen der Partei sowie die alle vier Jahre stattfindenden Parteitage. Das RNC entwickelt vor allem die landesweite Darstellung der politischen Positionen der Gesamtpartei.
Michael Steele, der einer kleinen Gruppe schwarzer Angeordndeter der Republikanischen Partei angehört, ist in der Vergangenheit immer wieder in Fettnäpfchen getreten, weil er offen ausspricht, was er denkt. Angelegt hat er sich dabei vor allem mit den Vertretern des Stammtischgeredes und strammen Befürwortern der US-Militärpolitik innerhalb seiner Partei.
Mit Blick auf US-Präsident Barack Obama erhellte Steele den Hintergrund seiner Bemerkung über die drohende Niederlage im Afghanistankrieg: »Wenn er so ein schlauer Geschichtsstudent war, wieso hat er dann nicht begriffen, daß man eine Sache auf jeden Fall nicht tun sollte, nämlich einen Bodenkrieg in Afghanistan zu führen? Jeder, der das in den letzten 1000 Jahren getan hat, ist gescheitert.«
Ungeachtet der Frage, ob Steele nun wirklich sein Amt aufgibt oder nicht, hat er nichts anderes getan, als eine einfache Wahrheit auszusprechen. Mächtige Imperien haben einen hohen Blutzoll bezahlt und große finanzielle Opfer gebracht bei dem Versuch, Afghanistan zu bezwingen. So erging es schon den Griechen unter Alexander dem Großen. Das britische Empire hat es sogar zweimal vergeblich versucht, und auch die militärisch starke Sowjetunion mußte sich unverrichteter Dinge wieder zurückziehen. Alle diese Mächte kämpften, bis sie ausbluteten und ihre Staatshaushalte vor dem Bankrott standen und sie zum Abzug gezwungen waren. Während der zehn Jahre der sowjetischen Intervention gingen Millionen Afghanen ins Exil, und Hunderte Dörfer verschwanden von der Landkarte. Und dennoch ereilte die sowjetische Armee das gleiche Schicksal wie die US-Armee in Vietnam.
Afghanistan ist eine bettelarmes Land mit einer Bevölkerung, die zu 90 Prozent aus Analphabeten besteht. Vierzehnjährige Jungen werden dort zu Kriegern gemacht, während ihre Altersgenossen in den USA noch in der beschaulichen Situation ihrer gemütlichen Elternhäuser mit Computern spielen und auf dem Bildschirm virtuelle Schlachten ausfechten. Afghanische Jungen marschieren mit ihrer Kalaschnikow kilometerweit von Dorf zu Dorf, durchstreifen unwegsame Bergregionen und bekämpfen und töten ihren Feind.
Wenn die Oppositionellen gegen den Vietnamkrieg in den 1960er und 1970er Jahren sagten, dieser Krieg sei »nicht zu gewinnen«, dann wurden sie als Verräter beschimpft. Aber sie hatten recht! Wer heute das gleiche über den Afghanistankrieg sagt, dem ergeht es nicht anders, wie die Reaktionen auf Steele gezeigt haben. Dabei hat er nur ausgesprochen, wovon die Mehrheit der Bevölkerung längst überzeugt ist.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:37:12 Uhr