Kolumne # 509 vom 25.09.2010: Das Spiel mit der Angst

25.09.10 (von maj) Die Tea-Party-Organisatoren mißbrauchen die Furcht der Menschen vor sozialem Abstieg

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 224 – 25./26. September 2010

Die Tea-Party-Kampagne ist eine der populistischen Strömungen gegen die Regierungspolitik des Demokraten Barack Obama in den USA. Sie wurde von Kräften inszeniert, die mit ihren öffentlichen Aktionen das Gefühl vermitteln wollen, früher sei alles viel besser gewesen. Das ist reine Propaganda. Diese Kräfte lassen jene Zeit, in der sie selber unter dem Republikaner George W. Bush die Regierung stellten, in einem positiveren Licht erscheinen, als sie wirklich war.
Kaum daß US-Präsident Obama sich im Weißen Haus eingerichtet hatte, wurde die Kampagne losgetreten. Sie ist ein Rückgriff auf die »Boston Tea Party« des Jahres 1773, als ganze Teeladungen englischer Schiffe in Boston aus Protest gegen die Steuerpolitik der britischen Kolonialregierung über Bord geworfen wurden. So fand auch die erste Aktion der neuen Tea-Party-Aktivisten symbolträchtig nahe dem Bostoner Hafen statt. Kontinuierlich folgten weitere Kundgebungen in mehreren US-Bundesstaaten. Manchmal schritten ihnen Teilnehmer in Uniformen des 18. Jahrhunderts voran und schwenkten Teebeutel über ihren Köpfen.
Die meisten der Menschen, die diese Tea Party-Kampagne unterstützen, reagieren mit ihrem Engagement auf die ständig sich verschlechternden ökonomischen Verhältnisse. Sie sehen die Zwangsräumungen von Eigenheimen, deren Bewohnern die Immobilienkredite über den Kopf gewachsen sind, Fabrikschließungen, die Arbeitslosigkeit und was der Verlust eines geregelten Einkommens für die Betroffenen in weiten Teilen der arbeitenden Klasse bedeutet. Und das macht ihnen Angst, sehr große Angst.
Es heißt, Geld sei die »Muttermilch der Politik«, und für die USA stimmt das auch. Es trifft auch zu, daß Angst ein machtvolles Mittel in den Händen von Politikern ist, und wenn man noch die Macht der Medien hinzufügt, dann entsteht aus diesem Gemisch ein gefährlicher politischer Sprengstoff. Dabei ist es unwichtig, wovor sich die Menschen fürchten. Entscheidend ist, daß sich ängstliche Menschen besser manipulieren lassen. Es sind zum Beispiel Immigranten aus Mexiko, aus deren bloßer Existenz sich ein explosives Gemisch aus Angst vor »Ausländern« und »Fremden«, Kriminalität, Verlust von Arbeitsplätzen und sogar vor ansteckenden Krankheiten entsteht. Diese Angst wächst wie eine Blase an und wird irgendwann platzen. Politiker machen sich diese Angst zunutze. Selbst US-Präsident Barack Obama erscheint diesen Leuten als schwarzer Buhmann mit seinem exotisch klingenden Namen und seinen afrikanischen Wurzeln.
Nur wenige in der Tea-Party-Kampagne wollen sehen, daß der Niedergang der US-Industrie schon vor Jahrzehnten begann und unter anderem eine Folge der Globalisierungspolitik in der Ära des ehemaligen US-Präsidenten Wil­liam Clinton war. Arbeitsplätze von Facharbeitern mit mittleren Einkommen wurden zuerst nach Mittel- und Süd­amerika ausgelagert und dann nach Asien. Der massenhafte Export von Jobs in Billiglohnländer sollte Unternehmern, Managern und Investoren höhere Erlöse und Renditen bringen. Diese Arbeitsplätze waren für immer verloren.
In den USA hat es Zeiten gegeben, in denen ein Mann oder eine Frau, egal ob schwarz, weiß oder latino, mit einem einfachen High-School-Abschluß einen Job in einer Automobilfabrik wie beispielsweise bei General Motors (GM) bekommen konnte. Damals brachte ein solcher Job diesen Arbeiterinnen und Arbeitern noch ein mittleres Einkommen ein, mit dem sie eine Familie ernähren konnten. Diese Zeiten sind schon lange vorbei. Heute können Collegeabgänger schon froh sein, wenn sie überhaupt noch einen Job bekommen. Nicht selten müssen sich mit einem schlecht oder gar nicht bezahlten Praktikum zufriedengeben.
Die Tea-Party-Kampagne, die viele solche Menschen ohne Chancen und Perspektiven in sich vereint, ist von Angehörigen reicher Familien gegründet worden. Deswegen greifen die Wortführer dieser Kampagne auch nicht die Wirtschaft an, die verantwortlich ist für den Albtraum vieler Menschen und Familien. Sie rühren vielmehr die Trommeln für niedrigere Unternehmenssteuern und den Abbau und die Verschlankung staatlicher Institutionen. Dabei wird geflissentlich die Tatsache verschwiegen, daß US-Unternehmen im Vergleich zu anderen Industrienationen nur knapp die Hälfte der Steuern zahlen und sich die Bevölkerung in den USA von 1950 bis 2000 verdoppelt hat. Aber der Tea-Party-Kampagne geht es eben weder um Tatsachen noch um die Sorgen und Ängste der Menschen, sondern darum, diese Ängste für die Zwecke konservativer und rechter Kräfte auszunutzen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 02:12:22 Uhr