Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 18 – 22./23. Jan. 2011
Unter den Verrückten der extremen Rechten in den USA werden immer wieder Rufe laut, Julian Assange, den derzeit in England unter Hausarrest stehenden Sprecher der Internetplattform Wikileaks, zu ermorden. Obwohl Assange kein Staatsbürger der USA ist, fordern auch gemäßigtere Kräfte, seiner umgehend habhaft zu werden, ihn einzusperren, unter Anklage zu stellen und wegen angeblicher Spionage gegen die USA abzuurteilen. Auch wenn dieses Getöse in der Öffentlichkeit ein wenig nachgelassen hat, zeigen sich offizielle Vertreter der US-Regierung ungehalten über den Australier und geben finstere und andeutungsvolle Drohungen von sich.
Die lauten Rufe nach Assanges Strafverfolgung verblüffen um so mehr, macht man sich einmal das einhellige Schweigen bewußt, wenn es um die Strafverfolgung von ehemaligen Mitgliedern der US-Regierung wegen Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan geht. Tatsächlich stellen schon diese Kriege an sich einen krassen Bruch des Völkerrechts dar. Die Charta der Vereinten Nationen verbietet Mitgliedsstaaten eindeutig, unprovozierte Angriffe gegen andere Länder zu führen. Schon deshalb sind diese Kriege Verbrechen! Auch ohne daß die USA Menschen gefoltert, Zivilisten getötet, historische Stätten wie Babylon, eine der ältesten Städte der Welt, zerstört und ganze Landstriche unter der Vortäuschung falscher Tatsachen in Schutt und Asche gelegt hätten.
Alan Greenspan, der frühere Vorsitzende der US-Notenbank, erklärte erst kürzlich, was die Welt schon lange wußte: »Im Irak-Krieg geht es vor allem ums Öl.« Trotzdem werden aber weder der ehemalige US-Präsident George W. Bush noch irgendeines seiner Kabinettsmitglieder wegen Kriegsverbrechen unter Anklage gestellt – ganz so, als hätten die Vereinten Nationen einen Idiotenparagraphen in das Völkerrecht aufgenommen, der bestimmten Leuten einen Freibrief erteilt. »Oh, keine Massenvernichtungswaffen vorhanden? Pardon, mein Fehler!«
Millionen Iraker wurden ins Exil getrieben, das Land ist aufgesplittet in ethnische Ghettos, nach vorsichtigen Schätzungen starben Hunderttausende in diesem Krieg, die zerbombte Infrastruktur erinnert inzwischen an Steinzeit – aber es gibt keine Hinweise auf Verletzungen des Völkerrechts?
Der emeritierte Ökonomieprofessor der University of Pennsylvania, Edward R. Herman, und der Journalist David Peterson haben in ihrem 2010 veröffentlichtem Buch »The Politics of Genocide« (Die Politik des Völkermords) beschrieben, wie Praktiker des Völkerrechts dessen Verletzungen durch – sagen wir einmal – »bestimmte Mächte« ignoriert haben. Sie schrieben: »So wie die Wächter der ›internationalen Gerechtigkeit‹ sich immer noch auf der Suche befinden nach einem einzigen Verbrechen, das eine große weiße Macht des Nordens gegen Menschen dunkler Hautfarbe verübt und dabei eine bestimmte Schwelle überschritten haben könnte, so ist auch das ganze schöne Gerede von der ›Verantwortung zum Schutz‹ und dem ›Ende der Straflosigkeit‹ niemals auf die Opfer dieser Mächte bezogen worden, egal wie ungeheuerlich ihre Verbrechen auch waren.«
Und weiter bemerken die Autoren: »Das westliche Establishment war schnell dabei, wenn es ›Völkermord‹ in Bosnien-Herzegowina, Ruanda und Darfur anzuklagen galt, und man machte sich auch stark für Tribunale, um die vermeintlichen Täter zur Verantwortung zu ziehen. Im Gegensatz dazu ist das Schweigen über die Verbrechen, die von den eigenen Regimen gegen die Völker Südostasiens, Zentralamerikas, des Nahen Ostens und der afrikanischen Länder südlich der Sahara begangen wurden, ohrenbetäubend.«
Übersetzung: Jürgen Heiser