Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 211 – 10./11. September 2011
Der zehnte Jahrestag des 11. September 2001 sollte Anlaß sein, sich genauer mit den Folgen dieser Ereignisse zu befassen. Die Kriege gegen Afghanistan und Irak – geführt als Ventil für aufschäumende nationale Wut und genährt von Angst statt nüchterner Überlegung – haben zwei zentralasiatische Länder verwüstet, dabei unzählige Opfer unter den afghanischen und irakischen Zivilisten gefordert und die Staatskasse der US-Aggressoren mit beträchtlichen Kosten belastet.
Diese Kriege, die eher aus Prestigegründen geführt wurden, als daß sie einer Notlage geschuldet waren, haben im vorläufigen Ergebnis wenigstens zwei Länder in den Abgrund und die US-Wirtschaft in ein Chaos gestürzt. Jenseits unserer Theorien und Vermutungen werden Kriege jedoch für konkret meßbare Ziele geführt. Uns wurde weisgemacht, diese Feldzüge seien Teil des sogenannten weltweiten Krieges gegen den Terror, und sie seien darauf ausgelegt, einen nichtstaatlichen Gegner, die Gruppe Al-Qaida, auszulöschen.
Wenn das wirklich die Absicht war, dann muß man heute feststellen, daß die Sache nicht besonders gut gelaufen ist. Vor dem 11. September 2001 kannte niemand außerhalb von Afghanistan Al-Qaida. Heute aber verfügt die Organisation weltweit über viele Ableger und Gefolgsleute. Erst die Kriege infolge des 11. September haben Al-Qaida mit neuem Leben erfüllt und der Organisation Auftrieb gegeben, was sich ihre Gründer in ihren kühnsten Träumen sicher nicht hätten vorstellen können.
Der Historiker Melvin D. Leffler, Professor an der University of Virginia, zitierte unlängst aus einem Untersuchungsbericht aus dem Jahr 2008, den das unabhängige Center for Strategic and Budgetary Assessments (CSBA) verfaßt hat. Darin kamen die Autoren zu der Einschätzung, daß die USA ihre allgemeine Position zum »GWOT« nicht haben halten können. »GWOT« ist die Abkürzung der zum Fachterminus aufgewerteten Propagandaformel vom »Global War On Terror«, dem weltweiten Krieg gegen den Terror. CSBA räumt zwar ein, daß die USA bescheidene Erfolge erzielt haben, stellt aber auch fest, daß Al-Qaida zu einer weltweiten Bewegung geworden ist, parallel zur Ausweitung des Einflusses der Salafisten. Die Islamische Republik Iran ist durch die Kriege nicht geschwächt, sondern gestärkt worden. Hingegen sind die zahlreichen Verbündeten der USA im Nahen und Mittleren Osten, von denen viele auch die Kriege unterstützten, mittlerweile gefallen wie Dominosteine in einer jamaikanischen Kneipe. Ökonomisch, politisch, ideologisch sind die USA heute, zehn nach dem 11. September, keinesfalls in einer stärkeren Position als vor diesem Tag.
Entgegen den Phrasen der Politiker ist die Entwicklung der letzten zehn Jahre nichts, womit man sich rühmen könnte, und schon gar nichts, weswegen man geistlos mit Fahnen schwenken sollte. Stilles Nachdenken und Studium wären eher angebracht und könnten sich als produktiver erweisen.
Übersetzung: Jürgen Heiser