Aus: junge Welt Nr. 285 – 8. Dezember 2011
Am morgigen 9. Dezember jährt sich zum 30. Mal die Verhaftung von Mumia Abu-Jamal im Jahr 1981. Der Radiojournalist und mit Preisen ausgezeichnete Vorsitzende der Vereinigung Schwarzer Journalisten in Philadelphia soll damals den Polizisten Daniel Faulkner, der Abu-Jamals jüngeren Bruder William in einer Verkehrskontrolle mißhandelte, nach Meinung von Polizei und Justiz erschossen haben. Abu-Jamal hat immer erklärt, Faulkner nicht getötet zu haben. So wurde der Bürgerrechtler und Exmilitante der Black Panther Party auch nicht aufgrund realer Beweise, sondern wegen seiner politischen Gesinnung nach einem kurzen und von rassistischen Vorurteilen geprägten Prozeß mit Hilfe erpreßter Falschaussagen wegen Mordes zum Tode verurteilt. Jahrzehntelang hat ihn eine internationale Solidaritätsbewegung vor der Hinrichtung geschützt. Sie steht jetzt aber vor der Aufgabe, ihn auch vor lebenslanger Haft zu bewahren und seine Freilassung zu erreichen. Die Autoren des folgenden Beitrages haben dazu ein engagiertes Plädoyer verfaßt.
Jürgen Heiser
Am 11. Oktober 2011 hat der Oberste Gerichtshof der USA formal die Aufhebung des Todesurteils gegen Mumia Abu-Jamal bestätigt, indem er einem Berufungsantrag des Bezirksstaatsanwalts von Philadelphia gegen eine Entscheidung des 3. Bundesberufungsgerichts die Zulassung verweigerte. In dieser Entscheidung vom 26. April 2011 hatte das dreiköpfige Bundesrichtergremium festgestellt, daß das am 3. Juli 1982 gegen Mumia Abu-Jamal verhängte Todesurteil nicht verfassungskonform ist, weil die damalige Jury vom Vorsitzenden Richter nicht korrekt über die Verfahrensweise zur Findung ihres Urteilsspruchs instruiert worden war und dabei außerdem noch ein irreführendes Formular verwendet wurde.
Nachdem also dank der Entscheidung des höchsten Gerichts das Todesurteil formal aufgehoben ist, sagen jetzt jene, die sich bislang für Mumias Hinrichtung stark gemacht haben: Nun gut, soll er also für den Rest seines Lebens im Gefängnis verrotten.
Der Philadelphia Inquirer, die meistgelesene Zeitung in Abu-Jamals Heimatstadt Philadelphia, formulierte in einem nicht namentlich gezeichneten Editorial vom 13. Oktober 2011 im wesentlichen das Gleiche, wenn auch etwas dezenter. Dort heißt es, nach Aufhebung der Todesstrafe sei das Strafmaß lebenslange Haft ohne Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung »angemessen« und »im besten Interesse der Gerechtigkeit«. Bezirksstaatsanwalt Seth Williams wird aufgefordert, keinen Gebrauch von seinem Recht zu machen, innerhalb einer Frist von 180 Tagen die Neuverhandlung des Strafmaßes vor einer neuen Jury zu beantragen. Wobei die Redakteure des Blattes mit ihrem Appell nicht etwa zum Ausdruck bringen wollen, daß sie es für unwahrscheinlich hielten, zu einem neuen Urteil zu kommen. Vielmehr geht es ihnen angesichts der schwierigen Finanzlage der Stadt Philadelphia, die ihrer Meinung nach schon mit genug Problemen zu kämpfen hat, um die Kosten, die ein solches Verfahren verursachen würde.
Nicht angemessen!
Hier sollten wir für einen Moment innehalten. Einmal die Überlegung außer acht lassend, ob Abu-Jamal überhaupt nach den Maßstäben der Fairneß verurteilt wurde in jenem Prozeß, der 1982 sogar von den Redakteuren des Inquirer als eine beschämende Farce angesehen wurde, muß die Frage gestellt werden, ob es wirklich »im besten Interesse der Gerechtigkeit« oder in irgendeiner Weise »angemessen« für Abu-Jamal ist, wenn das gegen ihn ausgesprochene Urteil einfach von der Todesstrafe in lebenslange Haft ohne Aussicht auf Bewährung umgewandelt wird. Die Antwort kann nur lauten: Nein, das ist ganz klar weder gerecht noch angemessen! Denn immerhin hat der Inquirer in seinem Editorial zutreffend festgestellt, daß »vier Bundesrichter entschieden haben, Abu-Jamals Todesurteil von 1982 sei verfassungswidrig«1, und daß »ihm in seinem ursprünglichen Prozeß ein faires Urteil verweigert wurde«.
Das verfassungswidrige Urteil, das 1982 von irregeführten Geschworenen gesprochen wurde, hatte für Abu-Jamal zur Folge, daß er dreißig Jahre lang im Todestrakt eines Hochsicherheitsgefängnisses namens SCI Greene in West-Philadelphia eingesperrt war, wo er bis heute in einer winzigen fensterlosen Zelle in Isolationshaft gehalten und von Mithäftlingen abgesondert wird.2 Das bedeutete für ihn, daß ihm als Häftling im Todestrakt anders als Langzeitgefangenen im Normalvollzug in all den Jahren der körperliche Kontakt zu seinen Freunden und Liebsten verboten war – sogar seine kleinen Enkelkinder durfte er nicht berühren und auch nicht seine mittlerweile verstorbene Mutter. Selbst an ihrer Beerdigung teilzunehmen, blieb ihm verwehrt. Insassen von Todestrakten werden bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie Besucher empfangen dürfen, mit Handschellen gefesselt vorgeführt, obwohl ihnen die Flucht unmöglich ist. Sie werden in einen »Besuchsraum« geführt, wo sie sich nur durch eine Trennscheibe aus dickem Plexiglas mit ihrem Besuch unterhalten können.
Mumia Abu-Jamal mußte diese höllischen Haftbedingungen auch in den letzten zehn Jahren weiterhin ertragen, obwohl Bundesrichter William H. Yohn sein Todesurteil bereits im Dezember 2001 aufgehoben hatte. Grund für die Fortdauer des strengen Haftstatus war, daß die damals amtierende und für ihre Rechthaberei und sadistischen Neigungen bekannte Bezirksstaatsanwältin Lynn Abraham bei Gericht beantragte, Abu-Jamal während der Dauer des laufenden Berufungsverfahrens weiterhin im Todestrakt zu belassen. Bundesrichter Yohns Entscheidung erlangte zwar wegen der von der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufung keine Rechtskraft, wurde aber auch nie durch eine gegenteilige Gerichtsentscheidung aufgehoben.
Und nun, da der Oberste Gerichtshof der USA Yohns Richterspruch faktisch bestätigt hat und er deshalb juristisch nicht mehr anfechtbar ist, muß Abu-Jamal dank der Rechthaberei oder politischen Feigheit, die Abrahams Nachfolger Seth Williams zu verantworten hat, immer noch in seiner Zelle im Todestrakt ausharren.
Irreführung und Verfahrensfehler
Der Punkt ist aber, daß Abu-Jamal niemals dorthin gehört hätte! Seit 2001 haben die US-Bundesgerichte mehrfach dargelegt – und mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in letzter Instanz –, daß die Geschworenen 1982 vom Vorsitzenden Richter Albert Sabo falsch darüber informiert wurden, daß ein Urteil »lebenslange Haft ohne Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung« als Alternative zur Todesstrafe absolut möglich gewesen wäre. Zusätzlich wurden die Geschworenen in dieser Frage noch irregeleitet durch ein Abstimmungsformular, das Sabo ihnen überreicht hatte. Eine Reihe von Bundesgerichten hat in anderen Verfahren festgestellt, daß dieses Formular auch für sie mißverständlich war bezüglich der Anwendung der Richtlinien über »strafmildernde Umstände«, die zu einem Veto gegen die Todesstrafe führen könnten.
Wer in den USA wegen Mordes angeklagt ist, muß nicht zwangsläufig zum Tode verurteilt werden. Vielmehr muß die Jury wenigstens einen »strafverschärfenden Umstand« beim Begehen des Mordes erkennen. Das Gesetz verlangt, daß alle zwölf Geschworenen einstimmig einen solchen feststellen müssen. Wenn nur einer von ihnen anderer Meinung ist, dürfen die strafverschärfenden Umstände nicht berücksichtigt werden. Werden jedoch mildernde Umstände gesehen, die einen Geschworenen dazu bringen könnten, sich gegen die Todestrafe und für lebenslange Haft zu entscheiden, besagt das Gesetz, daß jeder einzelne Geschworene das Recht dazu hat, einen solchen vorzubringen und zur Basis seiner Entscheidung zu machen. Das Formular, in dem die Geschworenen ihre Entscheidung für das Gericht schriftlich festhalten, erweckte aber nach Ansicht der Bundesgerichte durch irreführende Formulierungen den falschen Eindruck, daß alle zwölf Geschworenen einstimmig mildernde Umstände erkennen müßten, bevor auch nur einer von ihnen sie in Betracht ziehen dürfe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war in Abu-Jamals Prozeß zumindest einer der zwölf Geschworenen der Meinung, daß mildernde Umstände vorlagen. Beispielsweise, weil Abu-Jamal nicht vorbestraft war oder weil Leumundszeugen zu seinen Gunsten ausgesagt hatten, er sei seinen kleinen Kindern ein guter Vater gewesen etc.
Wegen der irreführenden Formulierungen des Juryformulars und der falschen rechtlichen Belehrung durch Richter Sabo waren die Geschworenen jedoch der Meinung, daß es nicht rechtens wäre, auch nur einen dieser mildernden Umstände zu berücksichtigen, solange nicht alle Geschworenen einstimmig dieser Meinung waren.
Und genau wegen dieser verfassungswidrigen Rechtsfehler in der Strafzumessungsphase seines Prozesses hat Mumia Abu-Jamal nicht einen Monat, nicht ein Jahr, nicht zwei Jahre, sondern 30 Jahre im Todestrakt zubringen und jederzeit damit rechnen müssen, daß der Staat ihn umbringt. Eine Strafverschärfung, die jeder Mensch als Qual empfinden muß.
Hätte man diese Rechtsfehler schon kurze Zeit nach dem Prozeß korrigiert, dann wären die Folgen weniger dramatisch gewesen. Statt dessen hat die Bezirksstaatsanwaltschaft jedoch in jeder Phase des über dreißigjährigen Verfahrens bis hoch zum Obersten Gerichtshof mit aller Macht dafür gekämpft, diese juristischen Irrtümer zu verdecken und dafür zu sorgen, daß Abu-Jamal selbst dann noch im Todestrakt bleiben mußte, als ein Bundesrichter sein Todesurteil bereits aufgehoben hatte.
Wenn die Existenz von Rechtsfehlern erst jetzt von den Gerichten eingeräumt wurde, kann es keinesfalls »angemessen« sein, einfach zur Tagesordnung überzugehen und das Todesurteil in lebenslange Haft ohne Bewährungsmöglichkeit umzuwandeln und Abu-Jamal irgendwann in ein normales Gefängnis zu verlegen, als wäre nichts geschehen.
Die Gerechtigkeit verlangt vielmehr nach Anerkennung der Tatsache, daß Mumia Abu-Jamal in den letzten dreißig Jahren eine wahre Hölle durchleben mußte, die er in keiner Weise verdient hat. Der Fakt, daß sein Todesurteil heute als nicht verfassungskonform gilt, muß zu Konsequenzen führen.
Die Karten neu mischen
Viele verurteilte Mörder werden in den USA nach Verbüßung von weitaus weniger als dreißig Haftjahren entlassen. Deshalb wäre es an diesem Punkt angemessen, wenn der Bezirksstaatsanwalt anerkennen würde, daß dieser spezielle Gefangene nicht nur genug gelitten hat, sondern weitaus mehr, als es die Verfassung zuläßt; und er sollte als Staatsanwalt das Gericht bitten, Abu-Jamal nach Verbüßung dieser langen Haft jetzt umgehend freizulassen.
Sollte Abu-Jamal jedoch nicht freigelassen, sondern dem »Verrotten« im Knast überlassen werden, muß sein neues Verteidigungsteam, angeführt von Christina Swarns vom Legal Defense Fund der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) nach Wegen suchen, die Verurteilung wegen Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner anzufechten. Dabei ist Mumia Abu-Jamals Problem, daß alle Verfassungsbeschwerden gegen seinen ursprünglichen Prozeß und gegen das korrumpierte Berufungsverfahren, dem er unterworfen war, bereits von den Bundesgerichten abgewiesen wurden.3 Um die Wiederaufnahme des Verfahrens doch noch zu erreichen, müßten Abu-Jamal und sein Verteidigungsteam neue Unschuldsbeweise finden und vorbringen, die er »billigerweise nicht schon früher mit gebührender Sorgfalt hätte finden können«. Als solche Beweise kämen beispielsweise Belastungszeugen in Frage, die ihre Aussagen widerrufen, neue Entlastungszeugen oder vielleicht weitere Fotos vom Tatort, die Fragen bezüglich der ursprünglichen Beweislage aufwerfen. Aber all diese Beweismittel müßten die hohe Hürde überwinden, entweder völlig neu zu sein oder nachweislich nicht früher ermittelbar, wenn sie als zwingende Gründe für ein neues Verfahren herangezogen werden sollen.
Falls Bezirksstaatsanwalt Williams jedoch dreist genug wäre, oder wenn er von solchen Gruppierungen wie der Fraternal Order of Police (FOP)4 stark unter Druck gesetzt würde, einen erneuten Prozeß über das Strafmaß zu beantragen, dann wäre es für Abu-Jamal einfacher, dem Gericht neue Beweise für seine Unschuld zu präsentieren. Weil einige der angeblichen Tatzeugen der Schießerei, durch die Faulkner zu Tode kam, von der Anklage dazu benutzt wurden, die Tat als eine Art kaltblütige Hinrichtung hinzustellen, könnten diese Zeugen – zumindest die, die noch leben – von der Verteidigung zum Prozeß über das Strafmaß vorgeladen werden, um ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern.
An diesem Punkt müßten beispielsweise ballistische Gutachten in die Verhandlung eingeführt werden, um den Nachweis zu erbringen, daß es für Abu-Jamal am 9. Dezember 1981 unmöglich war, mit gespreizten Beinen über dem am Boden liegenden Polizisten Daniel Faulkner gestanden und viermal auf ihn geschossen, ihn aber nur einmal getroffen zu haben. Es hätten nämlich Spuren der Kugelaufschläge von den danebengegangenen Schüssen im Bürgersteig um Faulkner herum zu sehen gewesen sein müssen. Außerdem müßte durch weitere Beweismittel – fotografische oder sonstige – der Nachweis geführt werden, daß es damals am Tatort kein Taxi gab, das direkt hinter Faulkners Streifenwagen parkte. Damit würde die Aussage von Robert Chobert widerlegt, der angab, er hätte dort geparkt, als die Schüsse fielen. Wichtig wäre vielleicht auch ein neuer Zeuge, der eindeutig bestätigen könnte, daß Abu-Jamal in der Notaufnahme des Jefferson-Hospitals niemals lautstark ein Geständnis herausgeschrien hat. Weitere Zeugen könnten darüber Auskunft geben, wie die Anklage entlastende Beweise im Prozeß unterdrückt hat.
Würde die Verteidigung solche neuen Beweismittel in einem neuen Juryprozeß über die Strafzumessung präsentieren können, dann würden damit auch die Karten bezüglich des Schuldspruchs wegen Mordes völlig neu gemischt.
Verstoß gegen Mindeststandards
Das wäre das bestmögliche Ergebnis an diesem Punkt. Es wäre genau das, was Amnesty International am 17. Februar 2000 in einem Bericht zum Fall Mumia Abu-Jamal – der dem Inquirer damals nur eine Kurzmeldung von einem Absatz wert war – zu dem Schluß kommen ließ, ein neues Gerichtsverfahren zu fordern, weil der erste Prozeß »einen Verstoß gegen die internationalen Mindeststandards für eine faire Prozeßführung« darstelle. Offensichtlich haben sich die heutigen Verfasser des Inquirer-Editorials nicht die Mühe gemacht, einmal im Archiv ihres eigenen Blattes nachzusehen. Andernfalls hätten sie nämlich festgestellt, daß ihre Vorgänger am 16. Juli 1995 während einer gerichtlichen Anhörung über die Wiederaufnahme des Verfahrens, die unter Vorsitz des ursprünglichen Prozeßrichters Albert Sabo stattfand, in einem Editorial geschrieben hatten, daß die »ganze Wahrheit« des Falles wohl »niemals herausgefunden wird«.
Dieselben Autoren schrieben, das Verhalten von Richter Sabo im Prozeß 1982 sei »bestürzend« gewesen, und in der Beweisaufnahme während der 1995 durchgeführten Anhörung über die Wiederaufnahme des Verfahrens habe Sabo »den im Gerichtssaal Anwesenden nicht den Eindruck vermittelt, unparteiisch zu sein«. Wie man den Sprung von dieser Position hin zu ihrem glatten Gegenteil schafft und Abu-Jamals Los heute in jeder Form für »angemessen« und als »im besten Interesse der Gerechtigkeit« erachtet, können wir nicht nachvollziehen.
Wenn Bezirksstaatsanwalt Seth Williams jetzt das Richtige tun will, es ihm aber angesichts der großen politischen Macht der FOP, die seit vielen Jahren auf skrupellose Weise Lobbypolitik für Abu-Jamals Hinrichtung betrieb und dazu sogar Richter bestochen hat, an der notwendigen politischen Courage fehlt, Abu-Jamal einfach nach Verbüßung von über 30 Jahren verschärfter Haft freizulassen, dann könnte er den Weg jetzt abkürzen, indem er ihm nachträglich einen »Alford Plea Deal« anbietet. Darunter versteht man einen Handel zwischen Verteidigung und Anklage, bei dem der Angeklagte sich trotz seiner Unschuld für »schuldig« erklärt, weil er mutmaßt, daß die Anklage über Beweise verfügt, die für seine Verurteilung ausreichen.5 Würde ein Gefangener nach einem solchen »Alford Plea Deal« freigelassen, bliebe er offiziell ein verurteilter Mörder, aber beide Seiten könnten behaupten, die Sache irgendwie für sich entschieden zu haben.
Das wäre das vertrackte Ende eines äußerst vertrackten Falles, wäre aber weitaus eher »angemessen« und »im besten Interesse der Gerechtigkeit«, als wenn Abu-Jamal für den Rest seines Lebens ohne Bewährungsmöglichkeit in das Graterford-Gefängnis gesteckt würde, nachdem er aufgrund eines verfassungswidrigen Urteils bereits dreißig qualvolle Jahre im Todestrakt zu erleiden hatte.
Anmerkungen des Übersetzers:
1 Einzelrichter William H. Yohn am 18.12.2001 und die drei Bundesrichter des 3. Bundesberufungsgerichts zuletzt am 26.04.2011
2 Von 1982 bis 1995 war Abu-Jamal im Todestrakt des Huntingdon-Gefängnisses (erbaut 1889) in West-Pennsylvania untergebracht; dann wurde er in den Todestrakt der State Correctional Institution (SCI) Greene in Waynesburg, Pennsylvania, verlegt, ein nach jüngsten Erkenntnissen der Isolationsforschung 1995 neu erbautes Hochsicherheitsgefängnis mit schallisolierten Zellen
3 Am 6. April 2009 lehnte der Oberste Gerichtshof der USA eine Wiederaufnahme des Verfahrens in letzter Instanz ab und erklärte damit die Verurteilung wegen vorsätzlichen Mordes für rechtens. Die Verteidigung verfügt seit Jahren über unzählige Unschuldsbeweise, über die jedoch noch kein Gericht verhandelt hat
4 Die mächtige rechte Polizeibruderschaft FOP führt seit Jahrzehnten eine »Grillt Mumia!«-Kampagne an und setzt Prominente und Politiker unter Druck, die sich für Mumia Abu-Jamal und gegen die Todesstrafe einsetzen
5 Im Fall North Carolina gegen Alford (1970) bekannte sich der Angeklagte schuldig wegen Totschlags und wurde ohne Beweisaufnahme vom Richter zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Hätte er auf »nicht schuldig« plädiert, wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Jury zum Tode verurteilt worden
Übersetzung: Jürgen Heiser
Dave Lindorff arbeitet als Journalist u.a. für Counterpunch Magazine und The Nation. 2002 erschien sein Buch: »Killing Time. An Investigation into the Death Row Case of Mumia Abu-Jamal«. Linn Washington jr. ist Kolumnist der Philadelphia Tribune und lehrt Journalismus an der Temple University. Beide Autoren betreiben mit Kollegen unter thiscantbehappening.net/ eine Plattform für investigativen Journalismus
»GERICHTE SIND POLITISCHE INSTITUTIONEN«
Auszug aus einem Interview mit Mumia Abu-Jamal
Am 11. Oktober gab es einen kleinen Sieg in Ihrem Fall, als der Oberste Gerichtshof eine Entscheidung gegen die Bezirksstaatsanwaltschaft in Philadelphia traf. Was sagen Sie dazu?
Das war schon ein Sieg, aber gleichzeitig auch kein wirklicher. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Berufungsantrag gestellt, und der wurde mit der Bemerkung »Zulassung abgelehnt« vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen: Es gab keine schriftliche Begründung, keine inhaltliche Rechtsentscheidung. Die Nichtzulassung des Antrags bedeutet juristisch nur, daß die weit zurückliegende Entscheidung eines Bundesgerichts aus dem Jahr 2001, die vorsieht, daß das Todesurteil gegen mich in lebenslange Haft umgewandelt werden soll, nun rechtlich Bestand hat.
Trotz weltweiter Proteste wurde Troy Davis am 21. September hingerichtet. Was bedeutet das für den Kampf gegen die Todesstrafe?
Daß man sich doppelt anstrengen muß. Das soll keine Kritik sein, sondern eine Feststellung. Die Mehrzahl derer, die Troy Davis unterstützt haben, ist relativ neu in der Bewegung gegen die Todesstrafe. Viele sind jung, College-Studenten. Und weil sie erst kurz dabei sind, haben sie wirklich daran geglaubt, daß die Justiz gerecht ist und die Gerichte es nicht zulassen würden, daß etwas Unrechtes passiert. Sie denken, daß die Gerichte logisch und gesetzlich handeln und nicht politisch. Die Bewegung gegen die Todesstrafe in den USA ist faktisch 1976 entstanden. In dem Jahr hat der Oberste Gerichtshof die Todesstrafe wieder eingeführt, nachdem sie seit dem Verfahren Furman vs. Georgia für vier Jahre außer Kraft gesetzt war. In dieser Zeit gab es keine Todesstrafe in den USA!
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß drei der höchsten Richter, die für die Wiedereinführung der Todesstrafe stimmten, nämlich die Richter Harry A. Blackmun, Lewis F. Powell und Jean-Paul Stevens, nach ihrer Pensionierung ihre Meinung änderten und erklärten, daß es ein Fehler war. Wenn sie noch einmal neu entscheiden könnten, würden sie dafür eintreten, die Todesstrafe für ungesetzlich und verfassungswidrig zu erklären.
Wenn sie 1976 so gehandelt hätten, dann hätte die Mehrheit des Obersten Gerichtshofs, nämlich fünf von neun Richtern – William Brennan und Thurgood Marshall haben schon immer gegen die Todesstrafe votiert –, sie als Verstoß gegen die Verfassung gewertet, und sie wäre heute nicht mehr Gesetz in den USA.
Viele der Leute, die sich für Troy Davis einsetzten, kennen diese Vorgeschichte der Todesstrafe nicht. Sie hörten von Troys Situation und waren überzeugt, das ist eine gute und gerechte Sache, die man nur gewinnen kann. Gerichte sind aber politische Institutionen, Richter werden von Politikern ernannt und treffen politische Entscheidungen. Auch die Hinrichtung von Troy Davis war eine politische Entscheidung.
Interview: People’s Minister of Information JR für Radio Block Report, 25.10.2011, Bay Area San Francisco
Übersetzung: Jürgen Heiser