Kolumne # 582 vom 18.02.2012: Begegnung beim Hofgang

18.02.12 (von maj) Drei Treffen mit Russell »Maroon« Shoats, Mitglied der Black Panther Party und einer der am längsten eingesperrten schwarzen politischen Gefangenen der USA

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 42 – 18./19. Februar 2012

Sein Name ist Legende: Russell »Maroon« Shoats, Mitglied der Black Panther Party, politischer Aktivist und schwarzer Revolutionär. Aus meiner Zeit als Teenager habe ich kaum Erinnerungen an ihn, nur das, was ich in den Zeitungen über ihn gelesen habe. Nachdem er 1972 verhaftet worden war, verfasste ich als Aktivist der Black United Liberation Front ein Solidaritätsflugblatt für ihn, in dem wir dazu aufriefen, ihm in den Knast zu schreiben. Dann tauchte er gelegentlich noch einmal in den Kurznachrichten auf, aber das kam immer seltener vor. So geriet sein Name allmählich in Vergessenheit – bei uns allen, mit Ausnahme seiner Familie.
Das änderte sich für mich erst 1995, als ich in den Todestrakt des Staatsgefängnisses SCI Greene in Waynesburg verlegt wurde. Man nahm wohl an, daß ich ihn kannte, obwohl wir uns nie zuvor begegnet waren. Auch im SCI Greene hatten wir kaum Gelegenheit, voneinander etwas mitzubekommen. Bis zu jenem kühlen Tag im Jahr 1998, als wir beide gleichzeitig Hofgang hatten und nur durch einen Zaun voneinander getrennt waren. Er lobte mein damals gerade erschienenes Buch »Faith of Our Fathers«, in dem ich mich mit den spirituellen Traditionen unserer afrikanischen und afroamerikanischen Vorväter auseinandersetzte. Ich war hocherfreut darüber, daß er es gelesen hatte und Gefallen daran fand.
Das nächste Mal, daß ich ihm begegnete und mit ihm sprechen konnte, war Freitag, der 9. Dezember 2011, einen Tag nachdem ich den Todestrakt verlassen hatte. Beim Hofgang im Frost ignorierten wir die beißende Kälte, obwohl wir beide unter unseren dünnen orangefarbenen Overalls nur T-Shirts und Boxershorts trugen. Eigentlich war ich offiziell nicht mehr Gefangener des Todestrakts, ging aber unbewußt weiter von zwei Stunden Hofgang aus, doch Maroon wußte es besser: Wir hatten nur eine Stunde. Deshalb stieg er sofort in eine Analyse der Occupy-Bewegung ein, deren Brillanz und hoher Erkenntnisgrad mich in Erstaunen versetzte. Ich dachte bei mir: Mensch, dieser Bruder muß lange und gründlich darüber nachgedacht haben!
Nach Maroons Einschätzung zeigt diese neu entstandene Bewegung, wie sich nicht nur die Kommunikation, sondern das Organisieren an sich durch die neuen Technologien verändert habe. Letztere machten eine vermittelnde Instanz überflüssig, erreichten die einzelnen Aktivisten direkt und ermöglichten ihm oder ihr, sich für oder gegen das Engagement in einer Sache zu entscheiden. Er führte weiter aus, daß diese neuen sozialen Medien die treibende Kraft sowohl beim Organisieren der Proteste im ägyptischen Kairo als auch jener der Occupy-Bewegung in den USA gewesen seien. Der Organisationsprozeß werde sich dadurch völlig verändern.
An drei frostigen Vormittagen trafen Maroon und ich jeweils für eine knappe Stunde zusammen, und ich verließ den Hof jedesmal tief beeindruckt. Maroon gehört zu den am längsten eingesperrten schwarzen politischen Gefangenen der USA. Über dreißig Jahre dieser vier Jahrzehnte wurde er nachweislich in Isolationshaft gehalten. Doch trotz alledem und obwohl er fast 70 Jahre alt ist, ist sein Geist scharf – Maroon ist sachkundig, analytisch, intuitiv und klug.


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Stand: 24.11.2024 um 00:46:42 Uhr