Kolumne # 585 vom 10.03.2012: Wissenschaft vom Frieden

10.03.12 (von maj) Die Visionen des schwarzen US-amerikanischen Mathematikers Benjamin Banneker (1731–1806)

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 60 – 10./11. März 2012

Mit Ablauf des Monats Februar ist offiziell auch der »Black History Month« zu Ende gegangen. Wie es scheint, konnte im kürzesten Monat des Jahres auch diesmal nicht annähernd die Fülle der in den letzten fünf Jahrhunderten angesammelten historischen Informationen über das Leben der Schwarzen in der »Neuen Welt« erfaßt werden. Wobei diese Welt überhaupt nicht »neu« war für die amerikanischen Ureinwohner, die hier schon geschätzte 50000 Jahre lebten, bevor die europäischen Eroberer einfielen.
Wenn der Name Benjamin Banneker (1731–1806) heute immer noch Resonanz hat, dann wahrscheinlich deshalb, weil Schwarze und andere sich über Generationen der Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Genialität erinnerten und sie als eine Art von historischem Gegenmittel zur behaupteten Überlegenheit der Weißen ansahen, ein rassistisches Denken, das seit der Errichtung der Siedlernation der Vereinigten Staaten von Amerika vorherrschte.
Bannekers Kenntnisse und Fähigkeiten in Astronomie, Mathematik und Architektur, die er sich selbst angeeignet hat, sind allgemein bekannt. Legendär war auch über die Jahrhunderte eine besondere Leistung aus seinen jungen Jahren, als er mit ausschließlich hölzernen Bauteilen eine Uhr konstruierte, die Sekunden, Minuten und Stunden anzeigte.
Als ich kürzlich im Black Chronicle las (eine Publikation, in der Materialien aus der Zeit der Sklaverei wiederveröffentlicht werden, d. Red.), stieß ich auf einen äußerst bemerkenswerten Artikel, der Ansichten von Banneker wiedergab, die er in seinem »Almanac« von 1795 formuliert hatte. Banneker hatte von 1792 bis 1797 jährlich einen Almanach veröffentlicht.
Was mich überraschte, war die Tatsache, daß er sich in diesem Artikel nicht mit naturwissenschaftlichen Fragen befaßte, sondern mit dem Thema Frieden. In einem Sieben-Punkte-Programm rief Banneker die US-Regierung dazu auf, einen »Friedensminister« einzusetzen: »Wenn die Vereinigten Staaten in Friedenszeiten ein Kriegsministerium eingerichtet haben, dann ist es gleichermaßen vernünftig, daß in Kriegszeiten ein Friedensministerium eingerichtet werden sollte.«
In seinem nach moralischen Gesichtspunkten weit gefaßten Vorschlag ging es Banneker um mehr als nur die Einrichtung eines Regierungsamtes oder Ministeriums. Denn er rief auch dazu auf, überall im neuen Land öffentliche Schulen einzurichten, jede Familie mit einer Bibel auszustatten und die Todesstrafe abzuschaffen. Außerdem wollte er die Ächtung aller Waffen, prunkvoller Uniformen und damit verbundener militärischer Rangordnungen erreichen.
Benjamin Banneker war ein freier schwarzer Bürger, weil seine Eltern in der Sklavenhaltergesellschaft ebenfalls frei waren – seine Mutter von Geburt an, sein Vater hatte sich freigekauft. Er war ein geachteter Wissenschaftler und Autor, der sich mit aktuellen Tagesfragen auseinandersetzte und dem es darum ging, einen gesellschaftlichen Wandel zu bewirken. Wenn Sie also künftig den Namen Benjamin Banneker hören, dann denken Sie nicht an Architektur, Astronomie oder gar hölzerne Uhren. Denken Sie an Frieden.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel853.html
Stand: 24.11.2024 um 00:57:31 Uhr