Aus: junge Welt Nr. 114 – 16. Mai 2012
»ANDENKEN AN BERLIN«
Von Charlotte Langenkamp und Peter Rau
In der vergangenen Woche besuchten zehn polnische Kriegsveteranen auf Einladung der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) die Bundesrepublik (jW berichtete). So nahmen sie auch am 9. Mai am »Fest des Sieges« im Treptower Park teil. Wie schon in den Tagen zuvor berichteten die Angehörigen der polnischen Kombattanten-Vereinigung auch dort über ihre Erlebnisse und Erfahrungen, die sie mit der Befreiung Deutschlands und Europas vom Faschismus verbinden. Am Vortag waren Adela Jaworowska, Anna Szelewicz, Zofia Wolanin und Zofia Lipiec sowie Jozef Czerwinski, Henryk Kalinowski, Jozef Kolesnicki, Eugeniusz Skrzypek, Henryk Strzelecki und Lech Tryuk zu Gast bei der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe des Bundestages und stellten sich auch den Fragen einiger Journalisten. Dabei gaben die heute zwischen 81 und 91 Jahre alten und in ihrer Heimat hochgeehrten Veteranen aus dem Nachbarland ihrer Genugtuung über die Einladung durch die deutschen Antifaschisten Ausdruck.
Zum besseren Verständnis ihrer Geschichte (n) sei an dieser Stelle ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit gestattet: Nach der im September 1939 erfolgten Wiederinbesitznahme der 1920/1921 von Polen geraubten Gebiete in Belorußland und der Ukraine waren Zigtausende polnische Kriegsgefangene und deren Familienangehörige nach Sibirien deportiert worden. Aus ihnen wurde 1942, nach dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion, auf freiwilliger Grundlage und mit Billigung der in London ansässigen polnischen Exilregierung eine erste polnische Armee rekrutiert. Benannt war diese sogenannte Anders-Armee nach ihrem Befehlshaber, General Wladyslaw Anders. Sie kam allerdings nicht in der UdSSR zum Kampfeinsatz, sondern kämpfte nach ihrer Evakuierung durch den Iran im Spätsommer 1942 auf westlichen Kriegsschauplätzen. Zur gleichen Zeit hatten sich in Polen selbst etliche Partisaneneinheiten formiert, die zum Teil der kommunistischen Arbeiterpartei nahestanden (Gwardia bzw. Armia Ludowa – Volksgarde bzw. Volksarmee) und zu einem anderen Teil der Londoner Exilregierung unterstanden (Armia Krajowa – Heimatarmee). In der Sowjetunion war indes im Frühjahr 1943 ein »Bund Polnischer Patrioten in der UdSSR« gegründet worden, der dazu aufrief, an der Seite der Roten Armee den Kampf gegen die Faschisten aufzunehmen und für eine neue, demokratische polnische Republik zu streiten. In der Folge entstand auf sowjetischem Territorium eine nach dem polnischen Nationalhelden aus dem 18. Jahrhundert Tadeusz Kosciuszko benannte erste Freiwilligendivision. Sie wurde von Oberst Zygmunt Berling, einem Deserteur aus der Anders-Armee, geführt und erlebte im Oktober 1943 bei Lenino in der Nähe von Smolensk ihre Feuertaufe. Zugleich war sie der Grundstock für die 1. Polnische Armee, die 1944 an den Kämpfen zur Befreiung Polens teilnahm und 1945 gemeinsam mit der 2. Polnischen Armee an der Seite der sowjetischen Streitkräfte den deutschen Faschismus in die Knie zwang.
Zurück zu den Kombattanten von einst: Lech Tryuk war im Alter von 16 Jahren im August 1944 einer der Kämpfer des von der Armia Krajowa ausgelösten Warschauer Aufstandes, der allerdings trotz Unterstützung der regulären polnischen Streitkräfte nach zwei Monaten scheiterte. Tryuk gehörte zu den wenigen, die den Faschisten entkommen konnten: Ihm gelang die Flucht durch die Kanalisation und die Wisla: Auf der anderen Seite des Flusses schloß er sich der Kosciuszko-Division an, mit der er schließlich auch an der Schlacht um Berlin teilnahm. In Berlin dabei sein zu dürfen, sei eine Auszeichnung der Roten Armee gewesen, sagt er heute. Er gehörte damals einer kleinen Kampfgruppe an, die der 2. sowjetischen Gardepanzerarmee den Weg durch die Straßen der Stadt bahnte, indem sie dort die von Hitlerjungen verteidigten Häuser säuberte. »Wir waren keine Engel, wir waren Soldaten und mußten die Nazis töten.« Zur Erinnerung an jene Zeit verweist er auf seine Stirn, wo seither »sein Andenken an Berlin« wohnt – in Gestalt eines Granatsplitters. Der heute 84jährige – er wurde nach dem Krieg Ingenieur – erzählt auch die Geschichte seiner Schwester, die nach dem Warschauer Aufstand nach Ravensbrück deportiert wurde und dort Zwangsarbeit leisten mußte; sie überlebte glücklicherweise die Hölle des Konzentrationslagers. Während sich sein fünf Jahre älterer damaliger Divisionsgefährte Eugeniusz Skrzypek darauf freut, die Schauplätze der einstigen Kämpfe noch einmal sehen zu können, schildert Anna Szelewicz, die 1945 zu den Befreiern des KZ Sachsenhausen gehörte, wie sie erstmals 1995 die dortige Gedenkstätte besuchte und dabei auch mit ehemaligen Häftlingen zusammentraf. Im Gegensatz zu anderen Geschlechtsgenossinnen, die in einem reinen Frauenbataillon eingesetzt waren, hatte sie es mit einer von Männern dominierten Welt zu tun, in der sie dennoch als Frau anerkannt war. Als Telefonistin, »die früher auch selbst geschossen hat«. Aber: »Frauen sollten Leben geben und nicht nehmen«, resümiert die heute 87jährige.
Siehe auch weiteren Bericht der VVN/BdA:
Eindrucksvolles Jugendtreffen in der Gedenkstätte Auschwitz[1]