Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 116 – 19./20. Mai 2012
In Chicago, im Volksmund auch »Windy City« genannt, wird am Sonntag der NATO-Gipfel beginnen. Die NATO-Verteter werden einigen Staub aufwirbeln, wenn sie für zwei Tage in die Stadt einfallen. Sie werden wieder über Themen wie »Weltfrieden« und »internationale Sicherheit« schwadronieren, aber das ist alles nur »Wind« im Sinne von heißer Luft. Sie reden zwar vom Frieden, aber in Wahrheit ist die NATO für die imperialistischen Staaten ein Instrument des Krieges, eine Waffe gegen die arabischen, afrikanischen und asiatischen Länder, ein Werkzeug in den Händen der Banker dieser Welt.
Die NATO ist ein Relikt des Kalten Krieges, die ursprünglich gegründet wurde, um den Einfluß der einstigen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) militärisch einzudämmen. Nachdem aber die UdSSR nur noch bloße Erinnerung ist, bleibt die NATO ein Machtinstrument des Westens gegen die Länder, die früher die Dritte Welt genannt wurden.
Zum Beispiel Libyen, wo 2011 in der Antizipation eines drohenden arabischen Sozialismus über 100000 Luftangriffe gegen die Regierung der Volksdschamahirija geflogen wurden. Tausende Zivilisten kamen bei den Bombenangriffen ums Leben, mit denen die Regierung von Muammar Al-Ghaddafi gestürzt werden sollte, der lange als Stachel im Fleisch des Westens galt.
Die NATO war in diesem Krieg ein Werkzeug der Banker, der Ölmultis und des Finanzkapitals, die schon lange scharf waren auf Libyens Ressourcen wie Öl und Wasser. Das ist der wahre Gehalt des Geredes von »humanitären Gründen«, die bei dem NATO-Einsatz vorgeschoben wurden. Dahinter steckt aber nichts als die altbekannte kolonialistische Habgier einer Jahrhunderte währenden Ära der Ausbeutung und des Einsetzens von Marionettenregierungen, die immer schon der Anlaß für militärische Interventionen im Orient waren.
Nur wenige Regimes übertreffen die repressive Herrschaft des saudischen Königshauses, wo es bis heute als »Verbrechen« gilt, wenn eine Frau ein Auto lenkt, und wo sogar nach den Berichten des US-Außenministeriums unzählige Menschen auf Befehl der saudischen Prinzen gefoltert werden. Aber Saudi-Arabien ist ein enger Verbündeter der Ölmultis, deshalb ist die Herrschaft des Königshauses unantastbar.
Frankreich hatte sich schon 1966 zur Wahrung seiner nationalen Unabhängigkeit und Souveränität dem NATO-Kommando entzogen. Es brauchte einen Rechtskonservativen wie den Expräsidenten Nicolas Sarkozy, um das Land wieder in die Kriegsabenteuer der NATO in Afrika einzubinden. Jedoch hat das französische Volk diesem Präsidenten den Laufpaß gegeben und François Hollande von der Sozialistischen Partei zu seinem Nachfolger gewählt. Es ist an der Zeit, daß wir, das Volk, der NATO den Stecker rausziehen. Ihre Zeit ist vorbei. Es gibt keinen Bedarf mehr für so ein gefährliches Instrument. Solange dieser Pakt existiert, ist die Versuchung für Politiker, ihn für kurzzeitige Wahlerfolge einzusetzen, zu groß. Sarkozy wollte mit dem Einsatz gegen Libyen seine nationalistische Hausmacht in Paris sichern. Die gleiche Taktik hatte zweimal für den Ex-US-Präsidenten George W. Bush funktioniert, doch Sarkozy scheiterte damit.
So wie die Vereinten Nationen vom sogenannten Sicherheitsrat dazu mißbraucht wurden, Irak zehn Jahre lang mit einem ungerechten und völkerrechtswidrigen Krieg zu überziehen und Afghanistan in Blut zu tauchen und zu verwüsten, funktioniert die NATO für die aktuellen Strafexpeditionen und Provokationen des internationalen Kapitals. Wie viele Tausende und Abertausende Kinder, Frauen und Männer sind in den Kriegen gegen Irak, Afghanistan, Libyen und Somalia umgekommen? Gerechtfertigt wurden diese militärischen Abenteuer mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Über eine Million Tote wegen der Lüge von den angeblichen Massenvernichtungswaffen und wegen des »Kampfes gegen den Terror«, weil die USA ihre Stärke beweisen wollen. Die traurige Wahrheit ist, daß die Vereinten Nationen, die eigentlich zur Wahrung des Friedens und nicht zum Führen von Kriegen gegründet wurden, die internationale Gemeinschaft und die Völker der Welt in die Irre geführt haben.
Was wir erleben, ist nicht die Durchsetzung des Völkerrechts, sondern einer weltweiten Gesetzlosigkeit. Kriege, mit denen ganze Nationen zerstört werden, die gegen Phantome und unter Vorwänden geführt werden, die sich auf bloße Theorien und offene Lügen stützen und dem reinen Machterhalt dienen. Diese verkommene Art der Gestaltung internationaler Beziehungen muß endlich und für immer auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen werden. Laßt uns also auf dem parallel zum NATO-Gipfel in Chicago veranstalteten »People’s Summit« klarmachen, daß die NATO weder uns noch die Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentiert, sondern daß sie ein Hindernis für den Frieden ist und ein Instrument des Krieges. Ihre Zeit ist vorbei. Sagen wir deutlich Nein zur NATO. Wir sind 99 Prozent!
Übersetzung: Jürgen Heiser