Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 180 – 4./5. August 2012
Vor Beginn der Olympischen Spiele in London hatte Harry Reid, Mehrheitsführer der Demokratischen Partei im US-Kongreß, seinen großen Auftritt im US-Fernsehen. Kurz zuvor war bekanntgeworden, daß die Trikots der US-Olympiamannschaft in China hergestellt worden waren. »Man sollte alle Trikots auf einen Haufen werfen und sie verbrennen«, echauffierte sich der Kongreßabgeordnete. Auslöser für seinen mediengerechten Wutausbruch war der Wirbel, den die Nachricht verursacht hatte, daß die gesamte Ausstattung der US-Olympioniken nicht von US-amerikanischen Firmen produziert worden war. Was für eine dumme Heuchelei!
In der politischen Auseinandersetzung der USA lautet das derzeitige Hauptschlagwort »Jobs, Jobs, Jobs!« Im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf wird die Schaffung neuer Arbeitsplätze zum Prüfstein der US-Innenpolitik erklärt. Aber egal, wie laut die Politiker auch »Jobs, Jobs!« skandieren mögen, es sind keine neuen Stellen in Aussicht. Einer der Gründe ist, daß wir uns in der Ära des North American Free Trade Agreement (NAFTA) befinden. Viele haben dieses Nordamerikanische Freihandelsabkommen aus dem Blick verloren, oder es ist ihnen sogar völlig unbekannt. Der am 1. Januar 1994 in Kraft getretene Vertrag war eine der »Spitzenleistungen« der Regierung von US-Präsident William Clinton und ein großer Verrat an der Arbeiterklasse der USA.
Es ist festzustellen, daß keinem der Präsidentschaftskandidaten, die sich jetzt im Wahlkampf zu allen möglichen Themen äußern, je der Begriff »NAFTA« über die Lippen gekommen ist. Nicht ein einziges Mal. Aber ohne eine ernsthafte Diskussion über das NAFTA und die damit bewirkte Vernichtung unzähliger Arbeitsplätze in der verarbeitenden US-Industrie und ihre Auslagerung in Billiglohnländer – unter anderem nach China – ist die Forderung nach »Jobs, Jobs!« nichts als zynisches Geschrei in der politischen Landschaft der USA. Sie ist »eine Fabel, (…) voll mit Schall und Wahn, die nichts bedeutet«, wie es in Shakespeares »Macbeth« heißt.
Für die Arbeitenden allerdings bedeuten Jobs, deren Löhne nicht entsprechend ihrer Lebenssituation angemessen steigen, daß sie sich plagen und nichts dafür zurückbekommen. Deshalb muß die Konsequenz sein: Wann immer ein Politiker künftig den Mund aufmacht und nach »Jobs, Jobs!« verlangt, sollte man ihm »NAFTA, NAFTA« entgegenrufen. Das müßte ihn zum Schweigen bringen.
Übersetzung: Jürgen Heiser