Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 298 – 22./23. Dezember 2012
Wieder ist eine männliche Person in eine Schule eingedrungen und hat ein Massaker angerichtet. Solche Ereignisse gehören mittlerweile in den Vereinigten Staaten schon zur Alltagsnormalität: Bis an die Zähne bewaffnet betritt ein junger Mann eine Schule oder irgendeine andere Einrichtung und tötet Kinder, Erwachsene und schließlich sich selbst. In der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown waren zwanzig Kinder und sieben Erwachsene die Opfer. Damit steht Newtown im US-Bundesstaat Connecticut jetzt in einer Reihe mit den Massakern in einem Kino in Aurora, Colorado, in der Columbine High School, ebenfalls in Colorado, und am Virginia Polytech Institute in Blackburg, Virginia, und vielen Orten mehr.
Es besteht kein Zweifel, daß diese Amokläufe typisch sind für die USA. Aber wie uns die Vorfälle im Juli 2011 in Norwegen gezeigt haben, stehen die Vereinigten Staaten damit nicht allein. Und nun wurde auch für die Sandy-Hook-Grundschule eine Seite in einem besonderen Geschichtsbuch aufgeschlagen – dem Geschichtsbuch des hausgemachten amerikanischen Chaos. In diesem Land herrscht so viel Wut und Verzweiflung, gibt es so viel seelisches Leid, so viele Spannungen zwischen den Menschen. Wie kann uns im Wissen darum das aktuelle Blutbad überhaupt noch schockieren?
Aber mit Sicherheit werden wir wieder entsetzt sein, wenn der amerikanische Wahnsinn in seine nächste Runde geht. Denn dieser Moment wird kommen, da können wir sicher sein. Trotz all der politischen Phrasen, trotz der Tränen und der Trauer der Eltern, wird der nächste Amoklauf kommen. Der Name irgendeiner Stadt, irgendeiner kleinen Ortschaft, irgendeines idyllischen Dorfes im Grünen wird wieder mit Blut besudelt werden und über den Äther in unser Bewußtsein dringen. Diesmal waren Kinder die Opfer, kleine Knirpse. Das ist die Realität im Amerika des Jahres 2012, nur wenige Tage vor Weihnachten, dem »Fest der Kinder«.
Übersetzung: Jürgen Heiser