Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 22 – 26./27. Januar 2013
Zum zweiten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika hat ein Schwarzer das Amt des US-Präsidenten übernommen. Ein solches Ereignis hätte man noch vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten. Die Wiederwahl von Barack Hussein Obama in das höchste Regierungsamt des Landes stellt wirklich einen Einschnitt dar und ist ein Tribut an einen Mann, der im politischen Geschäft ein wahrer Meister ist. Nur wenige andere Politiker hätten dem Gegenwind standgehalten, der ihm von einer äußerst motivierten Opposition ins Gesicht blies.
Geholfen haben Obama vor allem zwei Faktoren. Zum einen der Geldregen üppiger Wahlkampfspenden von Großunternehmen und nicht mehr nur Einzelpersonen, was erst durch eine im Januar 2010 gefällte Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Fall »Citizens United gegen Bundeswahlkommission« möglich wurde. Zum anderen das Auftreten seines überaus wohlhabenden und absolut skrupellosen Gegenkandidaten der Republikanischen Partei, Mitt Romney. Wenn wir einmal von gelegentlichen Rückschlägen absehen, waren nur wenige Politiker, egal ob schwarz oder weiß, mit einer so erfolgreichen politischen Karriere gesegnet wie Barack Obama.
Im Gegensatz dazu können die Lebensbedingungen schwarzer US-Bürger jedoch kaum als »gesegnet« bezeichnet werden, wenn wir die Maßstäbe anlegen, nach denen wir die Lebensqualität der Mehrheit der Bürger beurteilen. Schwarze rangieren am unteren Ende der gesellschaftlichen Skala. Dort, wo das Leben ein Alptraum ist. Das betrifft den Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung, zu Bildung, betrifft das Recht auf Arbeit ebenso wie die durchschnittliche Lebenserwartung, die Sterblichkeitsquote, die drohende Gefahr, ins Gefängnis gesperrt zu werden, und vieles mehr. Die statistischen Zahlen belegen, daß die meisten Afroamerikaner ein Leben am Rande oder am Boden der Gesellschaft führen.
Überdies ist es unrealistisch zu erwarten, es könnte in nur vier Jahren Regierungszeit zu spürbaren Veränderungen kommen, ganz egal, wer Präsident ist und welche Hautfarbe er hat.
Das sind die Fakten. Es ist schon ein bemerkenswerter symbolischer Akt, wenn in den USA eine schwarze Person nicht nur einmal in das Amt des Präsidenten gewählt, sondern sogar im Amt bestätigt wird. Aber es ist nur ein Spektakel mit Blendeffekt, und es bleibt ein Spektakel, weil das Leben der durchschnittlichen Afroamerikaner dadurch nicht weniger trostlos geworden ist als vor vier Jahren. Nach wie vor müssen sie einen Ausweg suchen aus dem Gefängnis, das »Amerika« für sie ist. Ein neuer Gefängnisdirektor mit dunkler Hautfarbe ändert daran überhaupt nichts. Für viele Kinder wird Bildung weiterhin im verwirrenden Labyrinth des öffentlichen Schulsystems stattfinden, das sie verbittert und ungebildet verlassen. Die repressive Polizei ist allgegenwärtig und macht das Leben unerträglich. Und hinter all dem steht, was Michelle Alexander in ihrem Buch »The New Jim Crow« als ein rassistisches Kastensystem bezeichnet, in dem ganze Generationen hinter Gittern verschwinden, und das ein Ausmaß angenommen hat, wie es die Welt bislang noch nicht gesehen hat. Was bleibt ist eine eintägige Feier zur Amtseinführung und vier weitere Jahre in der Hölle.
Übersetzung: Jürgen Heiser